Wild und schön
Von Gisela SonnenburgManche Musik trifft das Ursprüngliche in uns. Man wird zum Kind, wenn man sie hört – und doch kommen einem Gedanken, die einen reifen lassen. Das Jazztrio Cloud and Stone beherrscht es meisterlich, Stimmungen zu sammeln. Am vergangenen Dienstag abend spielten die drei im Rahmen der Reihe »jW geht Jazz« in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt in Berlin. Das Besondere an der kleinen Band ist ein Vibraphon. Die klassisch ausgebildete Musikerin Taiko Saitō ist damit ein richtiger Star.
Mit vier Schlägeln bespielt Saitō die Metallplatten über den Röhren, die für den schwebenden, dem Xylophon ähnlichen Sound des Instruments zuständig sind. Die Musikerin hält zwei Schlägel in jeder Hand. Gleich im ersten Stück des Tenorsaxophonisten Alexander Beierbach absolviert Saitō kapriziös-komplizierte Tonschleifen. Mit der Bassistin Maike Hilbig entsteht ein Dialog: Erdig und stabilisierend wirkt der Bass, luftig und turbulent das Vibraphon.
Da hat es »Ali« Beierbach am Tenorsax fast schwer. Melodiös auf- und absteigend spielt er Tonreihen, die fragmentarisch wirken und dennoch voll Anmut sind. So bleibt es hier: Zumeist bilden die Frauen eine Korrespondenz, während das Sax extra tanzt. Wie der Mond, wenn er über dem Land und dem Meer steht. Ein Stück ist denn auch dem kanadischen Vollmond gewidmet. Wie ein exotisches Glockenspiel erklingt dann das Vibraphon. Wo sind wir jetzt? In Tibet? Wild und schön ist die Klangwelle, sie trägt einen über den Herbst in Europa hinweg. Die Klänge werden leise, noch leiser. Stille. Dann setzen alle drei Klangkörper neu ein – und verebben sanft.
»Ali« Beierbach, der die Moderationen spricht, holt uns zurück in heimische Gefilde. Der nächste Song ist einer frühmorgendlichen Zugfahrt vom hektischen Berlin-Gesundbrunnen ins idyllische Rheinsberg in Brandenburg gewidmet. Märchenträume im Halbschlaf überkommen einen, wenn sich die Nebel in ländlichen Landschaften lichten. Überraschend rauh klingt das Sax, während Maike Hilbig die Saiten des Kontrabasses quasi streichelt. Auch das Vibraphon traut sich was, beginnt scheppernd und klingelnd eine versponnene Musikorgie: Von Rheinsberg geht es flugs wieder nach Tibet.
Es gibt aber auch lustige, muntere, knallige Stücke. Die Musiker spielen sie im Stakkatomodus, peitschen die Töne durch den Raum. Krachlederne Atonalität entsteht. Als schraube sich ein Zug am steilen Hang in Windungen bergab. »Train Songs«, »Bahnlieder«, nennt Komponist Beierbach seine gejazzten Erinnerungen. Dann hält ein Stück ein Solo fürs Sax bereit. Die Schlägel von Taiko Saitō sind jetzt umgedreht: Holz klopft auf Metall.
Beierbach erwähnt als Inspiration die Nachtzüge nach Paris, die er als Teenager bestaunte, wenn er mit seinen Jungs die letzte S-Bahn nahm. Es wird rockig. Zuckend. Vibrierend. Aufregend. Explosiv. Erst die melancholische Zugabe holt einen zurück nach Berlin: mit wiegenden Rhythmen, wie ein Schlaflied.
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