»Wem gehört der öffentliche Raum eigentlich?«
Interview: Kristian StemmlerMit Ihrem Volksbegehren möchten Sie das Ausmaß der Außenwerbung in Hamburg reduzieren. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Wir waren jetzt eineinhalb Jahre in einer Zwangspause, da der Hamburger Senat uns vor Gericht stoppen wollte. Doch wir haben gewonnen – und sind jetzt fleißig dabei, uns auf eine große Sammelaktion vorzubereiten. Der erste Schritt ist eine jetzt gestartete Onlinekampagne, die sich an alle Hamburger ab 16 Jahren richtet. Sie können ab sofort unterzeichnen, indem sie die Unterschrift per Briefwahl beantragen. Dann bekommt man bequem im Frühjahr 2025 die Unterlagen vom Bezirksamt kostenfrei nach Hause geschickt. Zeitgleich werden wir vom 23. April bis zum 13. Mai 2025 auf der Straße Unterschriften sammeln. Wenn wir die Zahl von 80.000 Unterstützerinnen und Unterstützern im Frühjahr 2025 geschafft haben, gibt es spätestens bei der nächsten Bundestags- oder Bürgerschaftswahl eine Volksabstimmung über unser Anliegen.
Ihre Volksinitiative hat im September vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht einen Sieg gegen den Senat errungen. Was hat das Gericht entschieden?
Das Gericht entschied, dass unsere Volksinitiative verfassungskonform ist. Das heißt, es ist ausdrücklich ein legitimes Ziel, Werbung im öffentlichen Raum einzuschränken. Dieses Urteil hatte so auch Signalwirkung in andere Städte. Nur in bezug auf Übergangsregelungen von bestehenden Anlagen wird unser Gesetzentwurf etwas beschnitten. Da müssen wir nachbessern, haben aber auch schon gute Ideen. Und das gute ist, dass die großen Werbeverträge zu Ende 2026 auslaufen, so dass ein weiter so mit diesem Urteil sowieso nicht möglich ist.
Die Volksinitiative hatte 2022 genug Unterschriften gesammelt, um ein Volksbegehren anzugehen. Dann zog der Senat vor das Verfassungsgericht. Wie argumentierte er?
Es scheint Strategie des Senats zu sein, progressive Initiativen vor dem Verfassungsgericht auszubremsen. Dadurch muss er nicht wirklich inhaltlich mit dem Anliegen auseinandersetzen, sondern kann sich hinter dem Stempel »verfassungsrechtliche Bedenken« verstecken. Dass die Argumentation des Senats fadenscheinig war, zeigt doch, wie klar das Hamburger Verfassungsgericht die »verfassungsrechtlichen Bedenken« beiseite gewischt hat. Für uns ist das trotz des Siegs auch ärgerlich. So wurde der Schwung aus unserer ehrenamtlichen Initiative genommen. Und auf der Straße geht die Dauerwerbesendung gleichzeitig ungestört weiter.
Was ist das konkrete Ziel Ihrer Volksinitiative?
Wir wollen Außenwerbung im öffentlichen Raum begrenzen. Unser Motto ist quasi Litfaßsäulenromantik statt Dauerbeschallung. Werbung wird in der Größe auf DIN A0 begrenzt und nicht mehr be- oder hinterleuchtet. Zudem muss die Hälfte der Fläche für Veranstaltungshinweise und nichtkommerzielle Informationen genutzt werden.
Warum ist Außenwerbung ein Problem?
Zunächst steht im Vordergrund die prinzipielle Frage, wem denn eigentlich der knappe öffentliche Raum gehört. Warum dürfen große Werbefirmen für kommerzielle Zwecke den einfach so bespielen? Wollen wir in einer Welt leben, in der digitale Werbeanlagen als »Blick-Magneten« überall versuchen, unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen und uns mit kommerzieller Werbung volldröhnen?
Diese Ablenkung ist beispielsweise im Straßenverkehr besonders wahnwitzig. Wegen der ernsthaften Gefährdung für Fußgänger und Fahrradfahrer unterstützen uns auch der VCD, der ADFC oder Fuss e. V. Insbesondere digitale Werbeanlagen sind nicht nur ein absoluter Energiefresser, sondern auch für einen Großteil der Lichtverschmutzung und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf Menschen und Natur verantwortlich, weswegen auch Nabu und BUND uns unterstützen.
Wie soll Ihr Anliegen umgesetzt werden?
Wir haben ein konkretes Werberegulierungsgesetz erarbeitet, dass die Hamburgische Bauordnung anpasst und unmittelbar nach einer erfolgreichen Volksabstimmung in Kraft tritt.
Jonas Bannert ist aktiv bei der Initiative »Hamburg werbefrei«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Cordula R. (16. Oktober 2024 um 12:15 Uhr)Hamburger Volksinitiative, dieses Begehren ist großartig. São Paulo ist seit ca. zehn Jahren frei von Werbung in der Stadt. Diese freien Flächen werden Graffitikünstlern zur Verfügung gestellt. So ist diese Stadt weiterhin eine Megastadt, aber mit großartiger Kunst für alle Menschen, die in dieser Stadt leben und sie besuchen. Und außerdem gibt es durch diese öffentliche Kunst an den gigantischen Hochhäusern in São Paulo und den entlegensten Ecken der Stadt politische Aussagen durch die Kunst. Die Paulistaner*innen lieben ihre Graffiti Künstler*innen , ihre Kunst mit ihren Aussagen. Der Hamburger Initiative wünsche ich anhaltende Freude und gelingen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus manni Guerth (16. Oktober 2024 um 16:19 Uhr)In einem imperialistischen Staat gehört dem Volk gar nichts, der Kapitalelite alles.
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