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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Centrão

Von Norbert Suchanek
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Gilt als korrupte Parteienclique: Protest von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Salvador, 18.8.2021)

Anfang Oktober fanden in Brasilien Kommunalwahlen statt. Bei diesen gewannen vor allem Parteien, die dem »Centrão« angehören. Der brasilianisch-portugiesische Begriff bedeutet direkt ins Deutsche übersetzt »Zentrum« oder »Mitte«. Doch wenn es um die Ausrichtung der politischen Parteien Brasiliens geht, greift diese Übersetzung zu kurz. Wer »Centrão« dem deutschen Verständnis von Parteien, die in der Mitte zwischen Links und Rechts stehen, gleichsetzt, liegt daneben. Das Zentrum ist im größten lateinamerikanischen Land nicht die Mitte. Oder anders ausgedrückt. Brasiliens Parteien des »Centrão« repräsentieren schon seit langem nicht mehr die Mitte des Parteienspektrums. So zumindest das Urteil brasilianischer Politikwissenschaftler.

Demnach sind die Parteien und Parlamentarier des »Centrão« von 1988, als Brasiliens neue Verfassung ausgearbeitet und verabschiedet wurde, den heutigen längst nicht mehr vergleichbar. »Das Centrão, das in der Verfassungsgebenden Versammlung erstmals in Erscheinung tritt, hat nichts mit dem von heute zu tun«, so der Parteienforscher Bruno Bolognesi von der Universität von Paraná im Kulturmagazin Humboldt. Die Parlamentarier des »Centrão« seien »üblicherweise rechts von der Mitte oder klar rechts«, ihr Hauptmerkmal sei eine »klientelistische und interessengeleitete Parlamentsarbeit«.

Ein weiteres Merkmal dieser zentralen Gruppe von Abgeordneten verschiedener Parteien ist, dass sie in allen Regierungen mitmischt, egal ob sie rechtsgerichtet oder links sind. So kann auch die dritte Regierung des Staatspräsidenten der Arbeiterpartei (PT) Luiz Inácio Lula da Silva mangels eigener Mehrheit nicht ohne die Parlamentarier des »Centrão« regieren. »Was Centrão eint, ist die Eigenschaft, eine überparteiliche Mehrheit zu sein, die die Macht hat, gegen demokratische Fortschritte ein Veto einzulegen, insbesondere gegen solche, die den Abbau der skandalösen Ungleichheit und die Beseitigung der Privilegien der parlamentarischen und militärischen Eliten vorsehen«, schreibt die brasilianische Politologin Daniela Costanzo in der nicaraguanischen Zeitschrift Nexo. Noch kritischer beurteilte 2020 der damalige Präsident der brasilianischen Abgeordnetenkammer, Rodrigo Maia, das politische Gebilde: »Das Centrão ist dieses Ding, von dem niemand weiß, was es ist, aber es ist böse.«

Doch welche Parteien genau gehören heute zum »Centrão«? Eine jüngst veröffentlichte Studie ist dieser Frage auf den Grund gegangen. Dafür wurden die Antworten aus einer Befragung von knapp 400 brasilianischen Politikwissenschaftlern ausgewertet. Das Ergebnis: Nach Ansicht der Mehrheit der Politologen Brasiliens bilden neun Parteien das »Zentrum«; die Progressistas (PP), Republicanos (REP), Partido Liberal (PL), Partido Trabalhista Brasil­eiro (PTB), Movimento ­Democrático Brasileiro (MDB), União Brasil, Patriota, Podemos und Partido Social Democrático (PSD). Sie spiegeln nach Ansicht der Wissenschaftler eher das rechte Spektrum der brasilianischen Parteienlandschaft wider und nicht die Mitte.

Die 2021 gegründete União Brasil zum Beispiel entstand durch die Vereinigung der Sozialliberalen Partei (PSL) mit Democratas. Mit erstgenannter Partei siegte der ­Ultrarechte Jair Bolsonaro 2018 bei den Präsidentschaftswahlen. Die Fortschrittspartei PP wiederum hat historische Verbindungen zur Lobby der Großgrundbesitzer »Bancada Ruralista« und zu den Parteien, die die Militärdiktatur unterstützt hatten und aus der sie hervorgegangen waren. Sie ist auch die Partei mit der größten Anzahl an Parlamentariern, die in die Korruptionsskandale der vergangenen Jahre verwickelt waren. Gleiches gilt für die Sozialdemokratische Partei.

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