Jetzt bist du dran!
Gegründet 1947 Sa. / So., 19. / 20. Oktober 2024, Nr. 244
Die junge Welt wird von 2964 GenossInnen herausgegeben
Jetzt bist du dran! Jetzt bist du dran!
Jetzt bist du dran!
Online Extra
19.10.2024, 15:08:37 / Inland
Parteitag

Die Zeit drängt

Die Linke: Parteitag billigt Leitantrag des Vorstandes ohne wesentliche Änderungen. Auftritt von Palästina-Demonstranten abgelehnt
Von Nico Popp, Halle (Saale)
Bundesparteitag_Die_83833383.jpg
Für sie hatte der Parteitag am Sonnabend keine Zeit: Palästinasolidarische Demonstranten vor dem Tagungsort auf dem Messegelände in Halle

Der Bundesparteitag von Die Linke hat am Samstag in Halle seine Arbeit fortgesetzt. Zum Auftakt des zweiten Verhandlungstages sprachen die beiden Vorsitzenden der Bundestagsgruppe, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann. 2022 hatten sie sich gegen Janine Wissler und Martin Schirdewan um den Parteivorsitz beworben hatten. Ihre Redebeiträge waren vor allem als Signal zu verstehen, dass sie hinter der zukünftigen Parteispitze stehen, die am Sonnabend gewählt wird. Zumindest in Hinsicht auf die Frage der Zusammensetzung der Parteiführung sind in Halle alle relevanten Akteure sichtlich bestrebt, Einigkeit zu demonstrieren; eine mit Personalvorschlägen verbundene Auseinandersetzung über die strategische Ausrichtung der schwer angeschlagenen Partei findet in Halle nicht statt.

Keine Trauergesänge

»Hören wir auf, uns mit uns selbst beschäftigen«, rief Reichinnek den Delegierten in ihrer Rede zu. Linke Politik sei keine »Politik für Linke«, sondern ein »Kampf für Leute, denen es scheiße geht«. Pellmann stellte den Wahlkampf des Leipziger Kandidaten Nam Duy Nguyen heraus, der nach einem engagierten Haustürwahlkampf bei der Landtagswahl am 1. September ein Direktmandat errungen hat. »Da geht doch was«, sagte Pellmann. Es sei nicht die Zeit für Trauergesänge und »absolut möglich, in einem Jahr wieder voll da zu sein«, versicherte er mit Blick auf die Bundestagswahl 2025. Der scheidende Kovorsitzende Martin Schirdewan nutzte seine Abschiedsrede, um vor einer »Flucht in die Orthodoxie« zu warnen. Auch »als BSW-light-Kopie« habe die Partei keine Zukunft. Dies wäre »das Ende«.

In der anschließenden Debatte über den Leitantrag, der mit großer Mehrheit beschlossen wurde, folgten die Delegierten in der Hauptsache den Abstimmungsempfehlungen des Parteivorstands. Angenommen wurden einige mehr oder weniger politkosmetische Änderungsanträge, abgeschmettert dagegen Anträge, die darauf abzielten, dem Leitantrag nach links zu konturieren. Angenommen wurde allerdings ein Änderungsantrag, der darauf zielte, einen von vielen Delegierten als grotesk empfundenen Satz im Leitantrag – »Es wird für Deutschland und die EU entscheidend sein, nicht Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen West und Ost zu werden« – zu entfernen. Deutschland und die EU, hieß es zur Begründung des Änderungsantrages, seien offensichtlich längst Teil einer solchen Auseinandersetzung.

Abgelehnt wurde ein rechter Antrag aus Bremen, in dem unter anderem dieser Satz stand: »Der Globale Westen ist einerseits Realität, dient andererseits aber häufig als Projektionsfläche, mit denen andere Staaten und Kräfte die eigene autoritäre Politik und das eigene Dominanzstreben, bis hin zu militärischer Aggression und Vernichtungswünschen, als ›postkoloniale‹ Emanzipation zu legitimieren versuchen.« Der Antrag sprach sich auch dafür aus, die Rüstungsindustrie zu »verstaatlichen«.

Nahost-Debatte eingehegt

Das betonte Streben nach Einigkeit bestimmte am Freitag abend die Diskussion über die Anträge mit Nahost-Bezug, die nach dem »Eklat« beim Berliner Landesparteitag, bei dem die Parteirechte mit einem Antrag zum Thema aufgelaufen war, eine besondere Sprengkraft zu entwickeln drohte. Das Thema hatte zuvor bereits in der Generaldebatte eine sichtbare Rolle gespielt. Kritisiert wurde dabei ausdrücklich auch, dass in den Tagen nach dem Berliner Landesparteitag Genossen, »die leider auch hier sind«, die Gegner des rechten Antrages via Tagesspiegel und Spiegel attackiert hatten.

Nun lagen mehrere Anträge vor, in denen etwa der israelische Krieg im Gazastreifen als Genozid bezeichnet wurde. Ein anderer Antrag forderte die Partei auf, sich von der Indienstnahme der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance für die Denunziation von Kritik an der israelischen Kriegs- und Besatzungspolitik als antisemitisch abzusetzen.

Um eine Eskalation auf offener Bühne zu verhindern, legte die Parteiführung am Freitag einen »Kompromissantrag« vor, der darauf abzielte, insbesondere die Anträge »Deeskalation und Abrüstung für Frieden in Nahost - Für eine friedenspolitische Wende im Krieg Israels gegen Palästina« und »Zeit für Haltung: Gegen den Genozid in Gaza« aus dem Spiel zu nehmen. Im Vorfeld hatten im Hintergrund Aussprachen mit allen Antragstellern stattgefunden, die in der Debatte am Abend von mehreren Rednern als konstruktiv gelobt wurden. Der Kompromissantrag wurde anschließend mit großer Mehrheit beschlossen. Der Antrag zur Antisemitismus-Definition wurde an den Vorstand überwiesen. Jan van Aken, der sich am Sonnabend um den Parteivorsitz bewirbt, riet davon ab, über »wissenschaftliche Fragen« auf Parteitagen zu entscheiden. »Wir haben damit nicht den Nahost-Konflikt gelöst, aber wir sind damit als Partei ein gutes Stück weitergekommen«, lobte er den Kompromissantrag des Vorstandes.

In dem mit Mehrheit beschlossenen Antrag wird die israelische Kriegführung in Gaza als völkerrechtswidrig bezeichnet und ein sofortiger Waffenstillstand gefordert. Konstatiert werden »schwere Kriegsverbrechen auf beiden Seiten«. Hingewiesen wird darauf, dass der Internationale Gerichtshof deutlich gemacht hat, dass die Gefahr genozidaler Handlungen in Gaza bestehe. Außerdem heißt es: »Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7. Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon.«

Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, Palästina als eigenen Staat in den Grenzen von 1967 anzuerkennen. »Für Antisemitismus und Rassismus ist kein Platz in der Linken«, wird weiter betont. »Wer in Nahost oder hierzulande antisemitische Ressentiments befeuert, wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wer gegen jüdische Menschen hetzt oder den Terror der Hamas relativiert«, könne kein Bündnispartner sein. Das gelte auch für diejenigen, die »rassistische, anti-muslimische oder antipalästinensische Angriffe und Propaganda gutheißen oder betreiben«. Um die palästinasolidarische Strömung in der Partei weiter zu befrieden, wurde außerdem ein Antrag beschlossen, in dem eine Unterstützung der von verschiedenen NGOs initiierten Petition »Für einen gerechten Frieden in Gaza. Waffenexporte stoppen und Hilfsblockade beenden!« gefordert wird.

Keine Zeit für Demonstranten

Kurz vor der Mittagspause am Sonnabend wies ein Delegierter am Saalmikrofon darauf hin, dass vor der Halle palästinasolidarische Gruppen »gegen den Parteitag« demonstrieren. Er forderte die Delegierten auf, im Lichte des Beschlusses vom Vorabend, den man so gleich in der Praxis erproben könne, mit diesen Menschen zu sprechen, denn diese Konstellation sei »schwer erträglich«. Nach der Pause stellte eine Delegierte den Geschäftsordnungsantrag, drei der Demonstranten zum Parteitag sprechen zu lassen. Es sei eine »Schande«, dass kaum jemand draußen gewesen sei. Dagegen sprach die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler. Sie verwies auf den Zeitplan; man warte darauf, einen neuen Parteivorstand zu bekommen. Der Geschäftsordnungsantrag wurde mit 235 gegen 174 Stimmen abgelehnt. Am Nachmittag begannen die Delegierten mit der Neuwahl der Parteiführung.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!