Neue und alte Knöpfe
Von Helmut HögeIsa war eine Studentin des Münsteraner Philosophen Hans Blumenberg. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat in ihrem Roman »Blumenberg« (2011) Isa ein Kapitel gewidmet. Darin heißt es, dass sie sich gegen 15 Uhr weiß anzog, »ein langes fließendes Kreppkleid«, und sich vor den Spiegel stellte. »Sie betrachtete einen ihrer Knöpfe, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen … Sie hatte die Knöpfe von einer alten getrödelten Bluse abgeschnitten und an ihr Kleid genäht. Vor langer Zeit hatte sie einmal im Radio ein Hörspiel gehört, da verschwanden Mädchen, und aus ihnen wurden Knöpfe gemacht. Schöne Knöpfe, einzigartige Knöpfe, mindestens so schöne Knöpfe wie der, den sie jetzt, den dünnen Stoff hochziehend, zwischen den Fingern hielt. Ob sie lauter Knopfmädchen vor dem Busen trug? Wie viele waren es? Sechs. Sie war vielleicht auch ein Knopfmädchen, aber ihre Verwandlung stand noch bevor.«
Ich habe neulich einen grauen Anzug geschenkt bekommen, der mir gut passt, aber es fehlt ein Knopf. Und weil die anderen vier ähnlich kunstvoll sind wie die an Isas Kreppkleid, mochte ich sie nicht einfach abtrennen und fünf neue, gewöhnliche schwarze, annähen. Ich suchte bei Karstadt nach einem, der den vier Knöpfen ähnelt. So einen hatten sie aber nicht. Man riet mir, zu »Knopf-Paul« in die Zossener Straße in Kreuzberg zu gehen. Der hätte ganz bestimmt so einen, sei jedoch nicht billig. Bisher habe ich mich dazu aber noch nicht aufraffen können. Und sowieso wollte ich hier eine andere Knopfgeschichte erzählen:
In Hannover führte ich einmal ein Interview mit dem Dichter Erich Fried, der dort an einer politischen Veranstaltung teilnahm. Es ging mir um zwei Glühbirnenpatente, die er als junger Mann in Wien erworben hatte, als er 1937 »mit 16 in Kontakt mit der kleinen Wiener Glühbirnenfabrik ›Orbis‹ kam«. Er hatte sich aber nicht weiter darum kümmern können, sondern sie fast vergessen, weil er gleich nach der Besetzung Österreichs nach England ins Exil gegangen war. In London traf er unter anderem Alfred Sohn-Rethel und Jürgen Kuczynski, wie er mir erzählte. Ich fragte ihn, ob er auch in London, wie zuvor in Wien, in einer Glühbirnenfabrik gearbeitet habe. Nein, er hätte zunächst in der zentralen Londoner Milchversorgungsstelle gearbeitet, wo er die Milch auf Säure- und Fettgehalt prüfen musste. Es war ein »Brotjob«, nach einem Jahr hätte er gekündigt und in einer Glasfabrik als »Glasknopferzeuger« gearbeitet, »zusammen mit Ilse Aichinger. Die Firma hatte der Österreicher Fritz Lampel gegründet: ›Bimini Limited‹ nannte sie sich. ›Bimini‹ ist ein imaginäres Land in einem Gedicht von Heinrich Heine – eine Trauminsel. Und Fritz Lampel hatte sich nun diese Trauminsel im Exil eingerichtet. Er war ein schlechter Dichter, aber ein großartiger Glasbläser, und hat handgemachte Glasknöpfe mit sehr geschmackvollen Mustern, die mit Stempeln in das noch weiche Glas gedrückt wurden, für den Export nach Amerika hergestellt. Man erzeugt am Bunsenbrenner eine Glaskugel, die legt man dann auf eine Feile, damit sie auf einer Seite aufgerauht wird, und drückt einen Stempel mit dem Muster drauf. Manchmal wird der Knopf auch noch mit einer Pinzette an vier oder sechs Seiten eingedellt.«
An diesem Arbeitsplatz erfand und baute er ein Gerät, »an dem die Zacken schon dran waren, so dass man die Glasknöpfe nicht mehr extra einzudellen brauchte. Ich habe mir immer so kleine Verbesserungen ausgedacht. In der Milchprüfstelle gab es einen Test, bei dem regelmäßig die Milchflasche, die erhitzt werden musste, explodierte. Das war billig hergestelltes Glas, das die Molekularspannung einfach nicht aushielt. Daran war nichts zu ändern. Aber beim Zerplatzen waren schon mehrere Mitarbeiter, teilweise an den Augen, verletzt worden. Mit einem Kollegen habe ich dann jeweils vier Stunden lang die Explosion der Flasche beobachtet, und dann haben wir einen Schutzschild dafür konstruiert. Da hat sich die Firma natürlich drüber gefreut, weil sie die Regressansprüche ihrer Mitarbeiter im Falle einer Verletzung bezahlen musste.«
Auch nach seiner Prostataerkrankung hatte sich Erich Fried zuletzt zur Verbesserung seiner »Lebenslage« einige kleine Erfindungen einfallen lassen. »Nach meiner Krebsoperation war ich ein Dreivierteljahr an einen Dauerkatheter angeschlossen. Da hatte ich mir ausgedacht, man sollte mir einen längeren geben. Der Katheter hatte vorne eine Abklemmvorrichtung, wenn er länger war, konnte man ihn umbiegen, und mit dem umgebogenen Teil war es möglich, wieder Geschlechtsverkehr zu haben, was auch ein Vorteil ist.« Man kann diese Anekdote nicht oft genug erzählen.
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