»Das Urteil bezieht sich nur auf diesen Kläger«
Interview: Gitta DüperthalIm Räumungsprozess gegen einen ehemals wohnungslosen Bewohner, der in dem vor drei Jahren besetzten Haus in der Habersaathstrasse im Berliner Bezirk Mitte lebt, urteilte das Landgericht Berlin am Dienstag: Er kann zunächst bleiben. Was genau hat das Gericht entschieden?
Das Gericht urteilte, es sei kein mietähnliches Verhältnis, aber eine Art Nutzungsrecht zustande gekommen. Deshalb kann er in seiner Wohnung bleiben – so lange bis der letzte der neun Bestandsmieter in dem Haus rausgeklagt wurde. Diese Mieter hatten mit mehreren Klagen gegen die Verwertungskündigung des Eigentümers gewonnen. Das Gericht verwarf die Räumungsklagen mit den Worten: Eine Wohnung ist kein Aktienpaket, und es gibt kein Recht auf Gewinnmaximierung.
Es dürfte sich jedoch um einen überschaubaren Zeitraum handeln, bis der Eigentümer den Abriss durchsetzt, oder?
Das Karussell wird ständig neu in Schwung gebracht. Nachdem die Abrissgenehmigung im Herbst abgelaufen war, erteilte das Bezirksamt dem Eigentümer ohne Not eine neue. Er schickte erneut Verwertungskündigungen an die Bestandsmieter. Da er jetzt wieder eine Schlappe vor Gericht erlitten hat, gibt es die Hoffnung, dass es bei diesem Urteil bleibt. Alles könnte sich weiterhin sehr lange hinziehen.
Weshalb sollte ein Gericht bei gleichbleibender Sachlage plötzlich anders entscheiden?
Logischerweise werden sich die Richter bei den übrigen anstehenden Klagen am Urteil vom Dienstag orientieren. Weshalb der Eigentümer es ständig wieder erneut versucht, erschließt sich uns nicht. Er hatte gegen alle 60 dort lebenden ehemals Obdachlosen Räumungsklagen angestrengt. Alle bleiben drin! Es kostet ihn Geld, gewonnen hat er nichts.
Gab es andere Schikanen von seiten des Eigentümers?
Weil er sich nicht durchsetzen konnte, ließ er im August 2023 Schlägertrupps in Wohnungen einbrechen; Sanitäranlagen, Schränke oder Fenster zerstören. In diesen Fällen wurden Anzeigen erstattet, aber daraufhin erfolgte nichts. Die Polizei hat diese Anzeigen offenbar nicht verfolgt. Sie stand einmal sogar in der Nähe und unternahm nichts. Der Vermieter ließ Stromzähler aus dem Keller klauen – sogar von Bestandsmietern. Er musste sie danach wieder einbauen lassen. Das Urteil des Gerichts ist in Hinsicht auf die 60 ehemals obdachlosen Bewohnerinnen und Bewohner ebenso interessant. Wir werden mit der Wohnungsaufsicht in Kontakt treten. Stellt man dort fest, dass es kein Warmwasser und keinen Strom gibt, muss der Eigentümer tätig werden.
Den Tag des Urteils werten Sie als »guten Tag für all diejenigen, die auf der Straße leben und überlegen, eine der vielen leerstehenden Wohnungen zu besetzen«. Wirkt sich das aber überhaupt auf andere in Wohnungsnot aus?
Nein. Das Urteil bezieht sich nur auf diesen Kläger, jedoch gibt es damit mehr Handhabe. Andere wohnungslose Menschen könnten bei Leerstand versuchen, sich auch an das Bezirksamt zu wenden, damit es dem Eigentümer eine sogenannte Nutzungsentschädigung anbieten kann. Immerhin ist das wesentlich billiger, als andere Unterbringungen für Obdachlose zu schaffen. Das zuständige Bezirksamt hatte dies zunächst im Fall einiger Bewohner der Habersaathstraße angeboten, wodurch eine Art vertragsähnlicher Zustand entstand.
Wie bewerten Sie das Agieren der Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger von den Grünen?
Trotz Kenntnis des Gerichtsurteils hat sie die neuerliche Abrissgenehmigung für die Habersaathstraße erteilt. Sie scheint kein Verständnis zu haben, wie man der Wohnungsnot begegnen und gegen Spekulation tätig werden kann. Von ihr erwarten wir nichts.
Wie geht es weiter?
Für die Bewohnerinnen und Bewohner ist es ermutigend, weil sie nach über einem Jahr endlich wieder Strom bekommen, sich nicht mit Kerzenlicht behelfen müssen und wieder kochen können. Wir hatten zuvor einen Spendenaufruf gemacht, damit sie sich mit Gaskochern behelfen konnten. Der nächste Schritt wäre, dass sie eine Meldeadresse erhalten. Das würde ihnen helfen, einen Job aufnehmen und Geld verdienen zu können. Mit der Mietbewegung bauen wir Druck auf, versuchen, mit dem Urteil in der Hand weiterhin Fortschritte zu erreichen.
Valentina Hauser ist Sprecherin der Initiative »Leerstand Hab ich Saath«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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