»Das würde vor allem Linke und Migranten treffen«
Interview: Henning von StoltzenbergDie Stuttgarter CDU hat einen Antrag im Gemeinderat gestellt, Ihr Komitee aus dem »Forum der Kulturen Stuttgart« auszuschließen. In dem Dachverein organisieren sich Migrantenvereine und interkulturelle Einrichtungen. Was hat die CDU für ein Problem mit Ihnen?
Die CDU-Fraktion wirft uns in ihrem Antrag völlig unbegründet Antisemitismus und »Glorifizierung von Terror« vor, und fordert sogar Demonstrationsverbote oder die Streichung unserer Kontaktdaten von der Homepage der Stadt, Punkte, über die eine Gemeinderatsmehrheit gar nicht bestimmen könnte. Mit diesem Antrag würden nicht nur unsere Aktivitäten gegen den israelischen Krieg in Gaza, der Westbank und im Libanon diffamiert. Vielmehr würden alle, die uns gegen den Antrag unterstützen, unter Antisemitismusverdacht gestellt. Das würde vor allem Linke und Migranten treffen.
Was ist das Palästina-Komitee Stuttgart?
Das Palästina-Komitee besteht seit 1982, seit dem Krieg des Staates Israel gegen den Libanon. Wir sind eine Anlaufstelle für Palästinenser und andere, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen wollen. Wir arbeiten eng mit oppositionellen Juden zusammen, vor allem der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Es handelt sich beim sogenannten Nahostkonflikt nicht um einen Streit von Religionen, sondern darum, ein diskriminierendes Herrschaftssystem zu überwinden, das der Staat Israel im historischen Palästina errichtet hat. Diese Position vertreten nicht nur unsere jüdischen Freunde, sondern auch bekannte Menschenrechtsorganisationen. Wir unterstützen unter anderem ein Krankenhaus im Gazastreifen mit Spenden, haben für die medizinische Basisorganisation Palestinian Medical Relief Society Geld gesammelt und helfen Geflüchteten im Alltag weiter, die oft aus dem Gazastreifen, aus Syrien oder dem Libanon kommen.
Gab es Unterstützung von anderen migrantischen Initiativen oder von anderer Seite gegen den CDU-Antrag?
Wir haben uns gegen die Vorwürfe der CDU-Fraktion mit einem offenen Brief gewehrt, der von zahlreichen Personen und Organisationen unterstützt wird, die aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum kommen: von links über Pax Christi bis zu CDU-Mitgliedern. Darunter sind auch Unterorganisationen von Vereinen des Forums.
Nun hat der Gemeinderat am Mittwoch getagt. Wie haben sich die Gemeinderatsfraktionen verhalten und wie war das Ergebnis?
Der Antrag ist im Verwaltungsausschuss diskutiert, es ist aber nicht darüber abgestimmt worden. Offensichtlich soll es vorerst dabei bleiben. Gut war, dass einige Stadträte anerkannten, dass wir mit Jüdinnen und Juden zusammenarbeiten und dass es wertvoll für das Klima in der Stadt sei, dass wir eine Brücke zu den palästinensischen Bürgern bilden. Selbst die CDU-Vertreter nahmen sich im Ton zurück. Ein Vertreter der Fraktion Die Linke betonte, dass unsere Positionen zum Staat Israel international bei vielen Konsens seien und zur Meinungsfreiheit gehörten. Die Vertreter der Stadt machten klar, dass wir keinerlei rechtliche Ansatzpunkte liefern, unsere Demonstrationen zu verbieten oder unsere Kontaktadresse von der städtischen Homepage zu nehmen. Die Leitung des Forums verwies auf die große Vielfalt der Mitgliedsvereine und darauf, dass unser Verhalten bisher keinen Grund gegeben hätte, uns auszuschließen. Leider soll trotzdem auf der Grundlage des CDU-Antrags überprüft werden, ob wir »rote Linien« überschritten haben.
Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Das Forum der Kulturen spielt eine wichtige Rolle und schafft demokratische Spielräume, die in anderen Städten vor Gericht erkämpft werden müssen. Daher werden wir mit dem Forum zusammenarbeiten. Allerdings darf niemand erwarten, dass wir Kompromisse machen, die den Rechten der Palästinenser entgegenstehen. Das Palästina-Komitee vertritt hier die Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten – im Unterschied zur Politik von CDU, FDP, SPD und Grünen, die, im Widerspruch zur Verpflichtung, einen Genozid zu verhindern, Waffenlieferungen an die israelische Armee befürworten. Da wir befürchten müssen, dass unsere Gegner, unter anderem israelische Regierungsvertreter und die AfD, weiter Druck machen werden, werden wir rechtliche Schritte gegen die diffamierenden Vorwürfe unternehmen.
Verena Rajab ist Vorstandsvorsitzende des Palästina-Komitees Stuttgart
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 19.11.2024
Häuser und Zelte im Visier
- 19.11.2024
Freilassung erneut verhindert
- 18.05.2021
Erhobene Zeigefinger
Mehr aus: Inland
-
Pistorius in Deckung
vom 23.11.2024 -
Lauterbach-Reform sorgt für Verwerfungen
vom 23.11.2024 -
Massenhaft Rüstungsaufträge
vom 23.11.2024 -
Strafgericht und »Staatsräson«
vom 23.11.2024 -
Nicht ohne Mitsprache
vom 23.11.2024 -
Geleimte Aktionäre
vom 23.11.2024 -
Baywa in der Klemme
vom 23.11.2024 -
»Viele berichten von Beschimpfungen und Gewalt«
vom 23.11.2024