Mit extra viel Rot
Von Kristian StemmlerPünktlich zum nächsten Urnengang entdeckt die SPD die »kleinen Leute« und deren Sorgen. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch die beiden Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken haben am Sonnabend bei der »Wahlsiegkonferenz« in Berlin, mit der die SPD den Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl im Februar eröffnete, diese Botschaft in den Mittelpunkt ihrer Reden gerückt. Die deutsche Sozialdemokratie sei die »Stimme der Fleißigen und Anständigen«, erklärte Scholz vor rund 500 Mitgliedern. Die SPD kämpfe für verlässliche Renten, bezahlbare Mieten, bezahlbare Gesundheit und Pflege, behauptete der »Zeitenwende«-Kanzler. Zudem wolle seine Partei den Mindestlohn »schrittweise und zügig« auf 15 Euro anheben.
In seiner rund eine Stunde dauernden Rede stimmte der Kanzler sein Publikum auf eine Aufholjagd im Wahlkampf ein. Wie vor drei Jahren wolle man wieder die Wende schaffen und stärkste Kraft im Bundestag werden – ein angesichts eines Rückstands von 16 bis 22 Prozentpunkten auf die Union in den Umfragen mindestens ambitioniertes Ziel. Vom aktuellen Abschneiden ließ Scholz sich aber nicht beirren. Die SPD und er wüssten, wie Wahlkampf gehe. »Da werden sich also einige noch ganz schön wundern«, rief er aus.
Wie bereits in seinen letzten Reden stellte er die Wahl als Richtungsentscheidung dar. Es stehe »verdammt viel« auf dem Spiel. »Jetzt geht es ums Ganze«, erklärte Scholz. Mit der SPD als »Kraft der Mitte« werde die »Modernisierung« des Landes fortgesetzt, während CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine rückwärtsgewandte Politik vertrete. Aus dem »Bis-hierhin-und-nicht-weiter-Konservatismus«, den man von der Partei unter der früheren Kanzlerin Angela Merkel kenne, sei unter Merz ein »Von-hier-aus-zurück-Konservatismus« geworden. Auch die FDP seines Exfinanzministers Christian Lindner hat der Kanzler attackiert. Dieser war am Donnerstag durch die Veröffentlichung des »D-Day«-Papiers, in dem ein Ampelausstieg der FDP detailliert geplant wurde, unter Druck geraten. Es sei inzwischen glasklar nachgewiesen, dass Lindner und die FDP die Arbeit der Bundesregierung »über Monate hinweg systematisch sabotiert« hätten, empörte sich Scholz. Daher sei es richtig gewesen, ihn als Finanzminister zu entlassen. In ernsten Zeiten brauche Deutschland ernsthafte Politik und »keine Spieler und keine Zocker«, sagte er.
Außenpolitisch bekräftigte der Spitzenkandidat der SPD seine Absicht, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, zugleich aber eine Verwicklung der NATO in den Krieg mit Russland zu verhindern. Daher lehne er eine Lieferung von »Taurus«-Marschflugkörpern ab. Er bleibe da »standhaft und besonnen«. Seinem Kontrahenten Merz warf Scholz eine riskante Linie vor. Merz wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche Lieferung ein Ultimatum stellen. Dazu könne Scholz nur sagen: »Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch-Roulette.«
Parteichef Lars Klingbeil behauptete auf der Bühne, die SPD mache Politik, damit diejenigen, »die jeden Tag hart arbeiten, die das Land zusammenhalten« mehr Geld in der Tasche hätten, also »die Friseurin, der Busfahrer, die Pflegekraft, die an der Supermarktkasse sitzen«. Das seien die »wahren Leistungsträger der Gesellschaft«. Der CDU-Kanzlerkandidat dagegen verfolge eine Politik für die »Besserverdienenden«, wusste Klingbeil. In dieselbe Kerbe schlug die Kovorsitzende Esken. Kernkompetenz der Sozialdemokraten sei es, für die Menschen, »die sich jeden Tag abrackern, mit ihrer Arbeit unser Land am Laufen halten«, ein »besseres Morgen zu gestalten«, behauptete sie. Merz dagegen engagiere sich nur für »die oberen ein Prozent«, kritisierte sie den ehemaligen Deutschlandchef des Finanzgiganten Blackrock.
Auf jene Verbalattacken reagierte das Konrad-Adenauer-Haus zunächst verschnupft. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der dpa, Scholz sei »als Kanzler gescheitert«. Die SPD stehe »mit dem Rücken zur Wand« und fahre deshalb »eine Angst- und Schmutzkampagne«.
In seinem Potsdamer Wahlkreis wurde Scholz am Sonnabend erneut zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl gewählt. Auf einer Parteikonferenz stimmten 69 Delegierte für ihn. Es gab vier Gegenstimmen und eine Enthaltung. Damit kam Scholz auf eine Zustimmung von 93,2 Prozent.
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