Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Montag, 23. Dezember 2024, Nr. 299
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 13.12.2024, Seite 4 / Inland
Neukölln-Komplex

Haftstrafe für Neonazis

Urteile im Berufungsprozess zu rechtem Brandanschlag auf Linke-Politiker in Berlin-Neukölln
Von Karim Natour
Fortsetzung_Berufung_84410837.jpg
Nebenkläger Ferat Kocak (links) am Donnerstag vor dem Landgericht in Berlin-Moabit

»Wäre ich eine Minute später aufgewacht, hätten es meine Eltern nicht aus dem Haus geschafft und sie wären gestorben – wie die Gastarbeiter in Mölln und Solingen.« Unter Tränen berichtet der Berliner Linke-Politiker Ferat Koçak dem Gericht von jener Nacht im Februar 2018, in der sein Auto vor dem Haus seiner Eltern in Berlin-Neukölln angezündet wurde. Einige Tage später erlitt seine Mutter einen Herzinfarkt. Seit dem Anschlag bestimme die Angst sein Leben, sagte Koçak, der auch Sprecher für Antifaschismus von der Linke-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ist.

Am Donnerstag hat im Landgericht in Berlin-Moabit der letzte Verhandlungstag im Berufungsprozess im sogenannten Neukölln-Komplex stattgefunden. Dabei handelt es sich um eine Serie von Brandstiftungen und Sachbeschädigungen, denen das Berliner Landeskriminalamt (LKA) circa 70 Taten zwischen 2016 und 2019 zurechnet. T. wurde unter anderem wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, P. zu zwei Jahren und zehn Monaten.

Tilo P. und Sebastian T. – zwei polizeibekannte Neonazis – sollen über Jahre in Berlin-Neukölln rechte Hassparolen und Sprüche im Zusammenhang mit dem Naziverbrecher Rudolf Heß sowie Sigrunen gesprayt haben. Auch sollen sie mehrere Menschen eingeschüchtert haben, die sich gegen rechts engagieren. Darüber hinaus sollen sie die Brandanschläge auf Koçak und den Buchhändler Heinz Ostermann verübt haben.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hatte P. am 15. Dezember 2022 und T. am 7. Februar 2023 in erster Instanz unter anderem vom Vorwurf der Brandstiftung aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Gleichzeitig hatte das Amtsgericht den 38jährigen P. wegen Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und den 41jährigen T. unter anderem wegen Betrugs, Sachbeschädigung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen die Urteile hatten sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Angeklagten Berufung eingelegt. Am Donnerstag forderte die Staatsanwaltschaft dann Freiheitsstrafen von vier Jahren sowie drei Jahren und sieben Monaten. Die Vertretung des Nebenklägers Koçak erklärte, die zuvor ergangenen Urteile des Amtsgerichts seien »an Absurdität nicht zu überbieten«.

Die Staatsanwaltschaft gestand zwar zu, dass keine handfesten Beweise für die Täterschaft der beiden Neonazis vorlägen, erklärte aber, die »Gesamtschau der Indizien« – darunter Protokolle geheimdienstlicher Überwachung – ließen »keine vernünftigen Zweifel« daran zu. Dies griff später auch die Verteidigung der beiden Angeklagten auf, von denen einer ein ehemaliges AfD-Vorstandsmitglied ist und der andere der frühere NPD-Kreisvorsitzende in Neukölln, inzwischen bei der Neonazipartei »III. Weg«.

Von einer »zusammenhängenden Indizienkette« sei man weit entfernt, versuchten die Verteidiger das Gericht von der Unschuld der Angeklagten zu überzeugen. Objektive Beweismittel wie Genspuren oder Ähnliches konnten von der Polizei nicht sichergestellt werden. Das monatelange Ausspähen und Verfolgen von späteren Opfern sei noch kein Beweis. Viel wahrscheinlicher sei, dass die Daten an Dritte gelangt seien, die für die Taten verantwortlich seien. Polizei, Verfassungsschutz und Staatsschutz hatten die Neonazis monatelang überwacht und zugehört, wie sie über Koçak redeten – der Politiker war aber nie gewarnt worden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Inland