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Aus: Ausgabe vom 28.12.2024, Seite 6 / Ausland
Georgien

Ukrainisierung Georgiens

Westliche Regime-Change-Kartelle steuern die südkaukasische Republik ins Chaos und an den Rand eines Bürgerkriegs
Von Susann Witt-Stahl, Tbilissi
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Bestenfalls naiv: Junge Demonstrantinnen appellieren in Georgisch und Deutsch (Tbilissi, 26.12.2024)

Vor dem Parlamentsgebäude in Tbilissi werden immer wieder Säcke mit nagelneuen Helmen angeliefert und auf den täglichen Pro-EU-Demonstrationen verteilt. Bis die Staatsmacht die militanten Proteste durch Verhaftungen und Verbot des Vertriebs von Feuerwerkskörpern vorerst unterbunden hat, gab es auch Gasmasken und andere für Straßenschlachten nützliche Ausrüstung – alles gratis. Kein Wunder: Die Pro-EU-Aktivisten haben mächtige Verbündete mit schier unerschöpflichen Geldquellen. »Von der Botschaft der USA bekommen wir alles, was wir brauchen«, berichtet eine Demonstrantin und schwärmt von deren »Demokratie«- und »Protesttrainings«, auch von der Unterstützung durch die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und andere deutsche Nichtregierungsorganisationen.

Georgien ist ein Eldorado für westliche NGOs. Daran ändert auch das im Juni 2024 in Kraft getretene Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme nichts (von den mehr als 30.000 im Land tätigen NGOs – von denen allerdings nur etwa 4.100 aktiv sein sollen – sind bis Fristende ohnehin nur 469 der Meldepflicht nachgekommen). Aggressiv interventionistische Denkfabriken wie das 1983 unter der Reagan-Administration gegründete National Endowment for Democracy (NED), in dessen Vorstand kürzlich die Regime-Change-Championesse Victoria Nuland berufen wurde, können ungehindert schalten und walten. Das NED – zu dessen Projektpartnern in Georgien auch die FES gehört – finanziert NGOs mit, die maßgeblich die Proteste gegen die vorläufige Aussetzung der Gespräche zum EU-Beitritt und für Neuwahlen orchestrieren. Beispielsweise Transparency International Georgia, Georgian Young Lawyersʼ Association, die auch von der Westminster Foundation for Democracy und vom European Endowment for Democracy (den Pendants Britanniens und der EU zum NED) sowie von der deutschen Botschaft gefördert wird, ebenso das Shame Movement.

Letzteres zündelte schon 2023 mit einem in den Nationalfarben der ­Ukraine gestalteten Banner, auf dem ein Molotowcocktail über dem Slogan »Ich habe es geworfen!« zu sehen ist – »im Auftrag« der Jugend Georgiens, »die die Nase voll hat von der autoritären und antiwestlichen Politik des kriminellen und illegitimen Georgischen-Traum-Regimes«, erklärte das Shame Movement. Videos, die in den sozialen Medien verbreitet und von der westlichen Presse konsequent unterschlagen werden, dokumentieren, dass nicht wenige Straßenaktivisten solchen Gewaltaufrufen nachgekommen sind. Detaillierte Anleitung für Aufstände werden vom in Belgrad beheimateten Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS) geliefert, der auf die Organisation von Farbrevolutionen spezialisiert ist. CANVAS, der beim »Euromaidan« in der Ukraine mitgewirkt hat, aber auch in Kuba, Venezuela und vielen anderen Ländern tätig ist, die auf der Speisekarte des US-Imperialismus stehen, bildet in Georgien Straßenaktivisten aus – seit 2021 im Auftrag der United States Agency for International Development (USAID).

Antikommunistischer Kitt

Die ideologischen Grundlagen werden durch die Fabrikation von »Freedom and Democracy«-Mythen, Phobien und Hass gegenüber (System-)Konkurrenten des Westens geschaffen. Eine wichtige Säule bildet der Geschichtsrevisionismus und Export von Antikommunismus. Deutsche Institutionen haben dabei eine führende Rolle übernommen. 2010 wurde auf Initiative der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung die Denkfabrik Sovlab etabliert, die ebenfalls vom NED, der US-Botschaft, aber auch von der »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«, dem Deutschen Volkshochschulverband und dem Goethe-Institut unterstützt wird. Sovlab, das Bücher und Filme produziert, Konferenzen und Ausstellungen veranstaltet, will vor allem – häufig in Zusammenarbeit mit georgischen Universitäten und dem CIA-Nachrichtensender Radio Liberty sowie der Regierung der Ukraine – ein »Umdenken« über die Sowjetvergangenheit durchsetzen.

Die mit sektenartiger Emphase vorgetragenen Glaubensbekenntnisse an die Segnungen durch die USA, EU und NATO, die bei den prowestlichen Kundgebungen zu vernehmen sind, und die hysterische Idiosynkrasie gegen jeden, der sozialistischer Positionen verdächtig ist oder nur Ansätze abweichender Meinungen aufweist, indizieren: Die Indoktrination der umfangreichen »Educational Programs« der NGOs wirken – zumindest bei Akademikern und Selbständigen der Tourismus-, Gastronomie-, Medien-, Kunst- und Kulturbranchen, die hoffen, durch einen EU-Beitritt Georgiens mehr von der neoliberalen Globalisierung profitieren zu können.

Konformitätsdruck

Die von oben und außen gelenkte Revolte einer ideologisch verblendeten Mittelschicht treibt grotesk anmutende Blüten: Zu den mittlerweile Hunderten Protestmärschen gegen die von dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili kontrollierte Georgischer-Traum-Regierung wurde unter anderem von »Teilnehmern der US-Austauschprogramme«, »Absolventen britischer Universitäten«, »Designern, Marketing- und PR-Leuten«, »Kindern von Priestern und anderen Klerikalen«, »Yoga-Liebhabern«, Freunden der Tiere, Italiens und des Basketballs, sogar den Fans von »Harry Potter« aufgerufen. Wo die Arbeiterklasse praktisch vollständig abwesend ist, müssen Mikrocommunitys, sektiererische Identitätspolitik und der Fantasykosmos der Kulturindustrie die Lücke füllen.

Im Bereich Wissenschaft und Forschung ist der Konformitätsdruck besonders hoch – allemal, weil reichlich Fördermittel des Erasmus-Programms der EU fließen. Unlängst verbrannten Dozenten und Studenten verschiedener Hochschulen vor dem Bildungsministerium selbst hergestellte »russische Diplome« der Abgeordneten des Georgischen Traums (die wenigsten dürften über einen solchen akademischen Grad verfügen, die meisten wurden im Westen ausgebildet). Studenten, die sich der antirussischen Raserei verweigern, haben es schwer: »Ich wurde von meiner Professorin attackiert, weil ich am Eurasischen Linguistenkongress in Moskau teilgenommen habe«, berichtet Elizabeth Jorjadze*, die in diesem Jahr an der staatlichen Ilia-Universität in Tbilissi ihr Studium der Georgischen Philosophie abgeschlossen hat, gegenüber jW. Die Ilia-Universität drängte die Organisatoren der Konferenz, alle Angaben, die Jorjadze mit der Uni in Verbindung brachte, zu entfernen. Die war unter Staatspräsident Micheil Saakaschwili – er hatte das Land in den 2000er Jahren mit einer protofaschistischen Politik auf Westkurs gepeitscht – gegründet worden und arbeitet mit Sovlab zusammen, auch gegen die Regierung.

»Der Georgische Traum verfolgt schon seit zwölf Jahren eine Politik der Normalisierung mit Russland, insbesondere der wirtschaftlichen Beziehungen«, machte Sonja Schiffers, Direktorin der Heinrich-Böll-Stiftung Südkaukasus, jüngst in einem Interview mit Deutsche Welle unmissverständlich klar, was der Westen nicht länger bereit ist zu dulden. Die Sozialistische Plattform Georgiens, Stimme der stark geschwächten marxistischen Opposition im Land, geht davon aus, dass die westliche Regime-Change-Armada nicht zögern wird, »einen Bürgerkrieg anzuzetteln«. Sie warnt vor dem Übergang von einer »eingeschränkten Demokratie« in eine »faschistische Diktatur« im Falle eines Umsturzes und appelliert an die Bevölkerung: »Lasst die Ukrainisierung Georgiens nicht zu!«

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.

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  • Leserbrief von Martin Mair aus Söchau (30. Dezember 2024 um 10:42 Uhr)
    Allzu oft verengt sich die scheinbare »Wahl« auf »Pest oder Cholera«. Insofern wäre es interessant, mehr über echte Alternativen Artikel zu lesen. Wo bleibt denn das einst viel beschworene »dialektische Denken«? Bei der Gelegenheit: So verständlich der Wunsch ist, dass NGOs Geldzuwendungen aus dem Ausland offen legen müssen, so kritikwürdig ist es, dass dadurch laut Gesetz diese NGOs pauschal als »ausländische Agenten« bezeichnet werden. Zum »Verlust des Denkens« gehört auch, dass die vielen »Zwischentöne« einem primitiven Schwarz-Weiß-Denken weichen, das eine wesentliche Grundlage faschistischer Denkstile ist. Kritische Distanz zu allen Lagern in der Analyse zeichnet wahrhaftige Intellektuelle (siehe Karl Mannheims große Ansagen) aus.

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