Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 30.12.2024, Seite 2 / Inland
Jetzt knallt′s

»Im Villenviertel gibt es jede Menge Platz«

Böllerverbotszonen: Aufruf zum Zünden von Silvesterraketen im Berliner Bezirk Grunewald. Ein Gespräch mit Frauke Geldher
Interview: Gitta Düperthal
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In Berlin wird zum Jahreswechsel regelmäßig geböllert, was das Zeug hält (31.12.2023)

In einer Pressemitteilung werden Sie als Sprecherin des Quartiersmanagements Grunewald, zitiert – und konstatieren als solche: »Berliner:innen aus verbotsbelasteten Bezirken knallen dieses Jahr im Villenviertel.« Warum sollen wir Ihnen das jetzt zum Jahreswechsel glauben?

Warum denn nicht? Als Quartiersmanagement Grunewald sorgen wir uns um Verteilungsfragen. Wir müssen feststellen: nicht nur Vermögen, politischer Einfluss und Repression sind ungerecht verteilt, sondern auch die Möglichkeit, entspannt Silvester zu feiern. Viele Berliner können das in ihren Wohnvierteln, etwa Kreuzberg, Neukölln oder Teilen von Schöneberg, eben nicht so tun wie etwa im Villenviertel Grunewald. Und: Mit der Buslinie M29 kann man zum Beispiel aus Kreuzberg direkt von der Böllerverbotszone zur Böllerersatzfläche in nur 50 Minuten fahren.

Was halten Sie generell von den Böllerverboten in vielen Städten in diesem Jahr?

Wir müssen genau hinzuschauen: Wer verbietet hier wem eigentlich was und warum? Die Böllerdebatte wird unsachlich geführt, ist moralisch extrem aufgeladen. Die einkommensstarken Menschen in ihren Villenvierteln trifft sie in der Regel nicht, sondern die, die wenig Geld haben. Wir halten diese Praxis für rassistisch und klassistisch motiviert. Das lehnen wir ab.

Sie begrüßen die Initiative, dass sich etwa Menschen aus Neukölln in Grunewald auf dem Johannaplatz versammeln, selbst wenn es sich um einen »kriminalitätsbelasteten Ort« handelt.

In dieser üblen Gegend haben wir viel Finanzkriminalität festgestellt. Wir sehen dort eine organisierte Hausbesitzerszene am Werk, die kriminelle Netzwerke bildet. Darum hatten wir schon am 1. Mai 2024 gegen die kapitalextremistische Szene dort mit Spezial-Enteignungskräften (SEK) ermittelt.

Können Sie Gründe dafür nennen, den von Ihnen als »Böllerersatzzone« benannten Bezirk Grunewald aufzusuchen?

Anders als Weihnachten ist Silvester kommunikativ, säkular und kein Familienfest: Man kommt auf der Straße zusammen, wünscht sich ein frohes neues Jahr und stößt auf die Zukunft an. Das hat Potential. Wir können die gute Stimmung nutzen. Es gibt keinen besseren Anlass, um auch mit Menschen, die sonst eher wenig sozialen Kontakt haben, ins Gespräch zu kommen. Zudem gibt es in diesem abgeschotteten Villenviertel jede Menge Platz, weil es nicht so dicht besiedelt ist.

Ist der Besuch auch für dort lebende Menschen gut?

Unbedingt! Für sie ist es eine Gelegenheit, mal unter die Leute zu kommen. Denn dort gibt es kaum Spätis, soziale Zentren oder andere Begegnungsorte. Der Bezirk ist so betrachtet wohlstandsverwahrlost.

Aber welche Gründe sollten etwa Neuköllner haben, sich zu Silvester in diesen abgelegenen Bezirk zu begeben?

Es für sie eine Gelegenheit, um dem militarisierten Wahnsinn der Böllerverbotszonen zu entgehen, der in ihren eigenen Bezirken vorherrscht: Flutlichtanlagen, Ausweiskontrollen, Hamburger Gitter – an ein frohes neues Jahr zu denken, fällt da schwer.

Ist aber in dem Fall nicht zu befürchten, dass sich Polizeikräfte möglicherweise zum Jahreswechsel auch verstärkt in Grunewald einfinden könnten?

Schon. Aber hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit ist das ja durchaus eine schöne Sache und zu befürworten.

Im Ernst: Wozu soll so eine klassenübergreifende Silvesterfete gut sein?

Der Vorwurf an arme Menschen lautet ja: Warum verpulvern sie das wenige Geld, das sie besitzen, an Silvester auch noch? Solches Verpulvern ist ja bei Superreichen bekanntlich Normalität. Angesichts dieser ungleichen moralischen Bewertung sagen wir: Die Scham soll die Seite wechseln! Schämen sollten sich die Superreichen, die sich täglich auf Kosten der Gesellschaft ausleben. Nicht Besitzlose, die einmal im Jahr Feuerwerk zünden!

Wird Ihr Quartiersmanagement Grunewald am 31. Dezember besonders viel zu tun haben?

Keineswegs. Wir gesellen uns einfach dazu, und tun, was wir ansonsten in Neukölln auch tun würden: auf eine klassenlose Zukunft anstoßen.

Frauke Geldher ist ­Sprecherin des Quartiers­managements ­Grunewald, einer ­Sektion der Hedonistischen ­Internationale

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  • Leserbrief von Silke B. aus Hamburg (31. Dezember 2024 um 02:44 Uhr)
    Auf das Villenviertel auszuweichen, finde ich eine gute Idee. Könnte man sich auch für Hamburg mal überlegen, denn direkte Hafenbewohner werden von Menschenmassen überrannt – an einem Ort ist es zu voll und am anderen Ort zu leer – das kann man ja ändern. In Blankenese hat man an manchen Stellen auch einen tollen Ausblick. Auch den Hinweis, auf die ebenso schlimme »Finanz«kriminalität, die nicht angerührt wird.
  • Leserbrief von Daniel aus Frankfurt (30. Dezember 2024 um 16:05 Uhr)
    »Die Scham soll die Seite wechseln«. Kuhl und normal den Satz von Gisèle Pelicot zu verwenden. Danke der Redaktion für das schnelle Reagieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. Dezember 2024 um 09:47 Uhr)
    »Böllern für eine neue Welt!« - wie abgehoben von den wirklichen Problemen muss man sein, um so zu denken. Das ist Ersatzbefriedigung für die, denen die echte Umgestaltung offensichtlich viel zu mühsam ist. »Knallen statt handeln!« also. Mit der echten Garantie dafür, nichts zu bewirken. Außer Müll, Feinstaub und viel Krach. Also echtes anarchistisches Gedöns.

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