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Aus: Ausgabe vom 18.01.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Agrarindustrie

»Künftige Generationen müssen den Preis zahlen«

Bündnis ruft zur Demo gegen »Grüne Woche« und Agrarkonzerne auf. Ein Gespräch mit Anne Skambraks
Interview: Kristian Stemmler
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Rufen nach gutem Essen für alle »statt Profiten für wenige«: Demonstrationsteilnehmer des Bündnisses »Wir haben es satt!« vor dem Brandenburger Tor (Berlin, 21.1.2023)

Für diesen Sonnabend mobilisiert Ihr Bündnis, das von Organisationen wie Greenpeace, dem BUND, Fridays for Future und der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft getragen wird, zur 15. »Wir haben es satt!«-Demonstration in Berlin. Mit wie vielen Teilnehmenden rechnen Sie?

Wir haben bei der Polizei 10.000 Teilnehmende angemeldet, das ist die Größenordnung der Demonstration vom Vorjahr. Der Auftakt ist um 12 Uhr am Bundeskanzleramt mit Reden und Musik. Der Demonstrationszug bewegt sich dann auf einem Rundkurs durch Berlins Zentrum, und die Abschlusskundgebung wird etwa um 14.15 Uhr wieder am Kanzleramt sein.

Die Großdemo findet seit 2011 statt, immer zum Auftakt der weltgrößten Agrarmesse »Grüne Woche«. Warum?

Die »Grüne Woche« wird vom Bündnis als Schaulaufen der Agrarindustrie wahrgenommen. Unsere Demo ist eine Alternative, die auf der Straße stattfindet. Wir bieten Antworten auf die großen Fragen und Probleme der Landwirtschaft an, die auf der »Grünen Woche« nicht ausreichend vertreten sind.

Im Aufruf heißt es, seit Jahrzehnten orientiere sich die Politik an den Agrarkonzernen. Hat sich die Lage seit 2011 eher verbessert oder verschlechtert?

Das ist eine spannende Frage. Unser Bündnis zieht das Fazit, dass unsere Bewegung die Diskussion um mehr Tierschutz, mehr Umweltschutz und Agrarökologie in der Gesellschaft insgesamt vorangebracht hat. Die Gesellschaft baut auch mehr Druck auf den Lebensmitteleinzelhandel auf, im Tierschutz aktiv zu werden. Und in der Tierhaltung sind Fortschritte erzielt worden.

In der scheidenden Bundesregierung ist ein Grüner, Cem Özdemir, Agrarminister. Hat das etwas gebracht?

Das Bündnis stellt der Ampelregierung kein gutes Zeugnis aus. Zu Beginn der Regierungszeit gab es viele Möglichkeiten, Fortschritte zu erzielen. Die Lösungsvorschläge, die in den letzten Jahren erarbeitet worden waren – unter anderem durch die Borchert-Kommission, ein hochrangiges Expertengremium, oder die Zukunftskommission Landwirtschaft – lagen auf dem Tisch. Aber Özdemir hat es versäumt, sie anzupacken und umzusetzen.

Hat das auch mit der Gegenwehr der Agrarkonzerne und agrarpolitischen Vorgaben der EU zu tun?

Aus Sicht des Bündnisses tragen hier die Agrarkonzerne, die sehr erfolgreich Lobbyarbeit betreiben, definitiv Verantwortung. Gleichzeitig muss man darauf hinweisen, dass die Strukturen in Brüssel bei der »Gemeinsamen Agrarpolitik« seit Jahren so beschaffen sind, dass große landwirtschaftliche Betriebe bevorzugt werden.

Diese Politik hat dazu beigetragen, dass es seit Jahrzehnten hierzulande ein Höfesterben gibt.

Ja. Zu Beginn der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel gab es noch rund 372.000 landwirtschaftliche Betriebe, das war 2005. Im Jahr 2020 waren es nur noch rund 262.000 Betriebe. Das bedeutet, dass in der Merkel-Ära über 100.000 Höfe schließen mussten.

Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung, in der eventuell die Union wieder den Landwirtschaftsminister stellt?

Das ist schwer zu sagen. Aber wir können feststellen, dass in keinem der Wahlprogramme eine ambitionierte Agrarpolitik formuliert wird. Da wünschen sich unsere Bündnispartner mehr Anstrengungen. Das betrifft nicht nur die Union, auch etwa die SPD und die Grünen müssten angesichts des Ernstes der Lage mehr Ambitionen zeigen.

Wie sieht Ihr Gegenentwurf aus?

Es geht um die Frage, ob Partikularinteressen weiter bevorzugt werden. Das agrarindustrielle System wälzt seine wahren Kosten auf die Gesellschaft ab. Künftige Generationen müssen am Ende den Preis zahlen, etwa für schwindende Biodiversität und eine sich verschlimmernde Klimakrise. Eine bäuerliche, agrarökologische Landwirtschaft ist der gemeinwohlorientierte Gegenentwurf. Sie ist die Grundlage für ein umweltverträgliches, gerechtes und krisenfestes Ernährungssystem, das uns alle und zukünftige Generationen sicher mit gesunden Lebensmitteln versorgen kann – ohne Tieren, Umwelt und Klima zu schaden.

Anne Skambraks leitet die Kampagne »Meine Landwirtschaft«

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