Soldaten zu »Schießautomaten« machen
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Der Militarismus muss, um seinen Zweck zu erfüllen, die Armee zu einem handlichen, gefügigen, wirksamen Instrument machen. Er muss sie in militärisch-technischer Beziehung auf eine möglichst hohe Stufe heben und andrerseits, da sie aus Menschen, nicht Maschinen, besteht, also eine lebendige Maschinerie ist, mit dem richtigen »Geist« erfüllen. (…)
Jener richtige »militärische Geist«, auch »patriotischer Geist« und in Preußen-Deutschland »Geist der Königstreue« benannt, bedeutet kurzweg jederzeitige Bereitschaft, auf den äußeren und auf den inneren Feind nach Kommando loszuschlagen. Zu ihrer Erzeugung ist an und für sich am geeignetsten völliger Stumpfsinn, wenigstens eine möglichst niedrige Intelligenz, die es ermöglicht, die Masse wie eine Herde Vieh zu treiben, wohin es das Interesse der »bestehenden Ordnung« vorschreibt. (…)
Da der bloße Sklaven- oder Kadavergehorsam nicht ausreicht, aber auch nicht mehr möglich ist, muss der Militarismus sich den Willen seiner Mannschaft auf einem Umwege zu eigen machen, um sich auf diese Weise »Schießautomaten« zu schaffen. Er muss ihn durch geistige und seelische Beeinflussung oder durch Gewaltmittel beugen, er muss ihn ködern oder zwingen. »Zuckerbrot und Peitsche« heißt es auch hier. Der richtige »Geist«, den der Militarismus braucht, ist erstens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber dem äußeren Feind: chauvinistische Verbohrtheit, Engherzigkeit und Selbstüberhebung, zweitens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber dem inneren Feind: Unverständnis oder selbst Hass gegen jeden Fortschritt, gegen jede die Herrschaft der augenblicklich herrschenden Klasse auch nur im entferntesten bedrohende Unternehmung und Bestrebung. (…)
In erster Linie gilt es, den Proletarier im bunten Rock scharf und rücksichtslos örtlich abzusondern von seinen Klassengenossen und von seiner Familie. Dies wird durch die Dislozierung aus der Heimat, die besonders in Deutschland systematisch durchgeführt ist, und vor allen Dingen durch die Kasernierung erreicht. (…)
Und schließlich gilt es, die so gewonnene Zeit möglichst geschickt zur Seelenfängerei auszunutzen. Dazu dienen verschiedene Mittel. Ganz, wie dies von der Kirche geschieht, sucht man alle menschlichen Schwächen und alle Sinne in den Dienst dieser militaristischen Pädagogik zu spannen. Ehrgeiz und Eitelkeit werden aufgestachelt, der Soldatenrock wird als vornehmster Rock proklamiert, die Soldatenehre als eine besonders ausgezeichnete verherrlicht und der Soldatenstand als der wichtigste und angesehenste ausposaunt und auch tatsächlich mit vielen Vorrechten ausgestattet. Auf die Putzsucht wird spekuliert, indem die Uniformen, entgegen ihrem rein militärischen Zweck, zu buntem Flitter und nach Art der Fastnachtskostüme auf den plumpen Geschmack derjenigen niederen Volksklassen, die man durch sie zu kaptivieren versucht, zugeschnitten werden. Allerhand kleine glitzernde Auszeichnungen, Ehrenzeichen, Schießschnüre usw. dienen dem gleichen niedrigen Instinkt, der Putz- und Großmannssucht. Und wieviel Soldatenleid hat schon die Militärmusik gelindert, der neben dem schimmernden Uniformenkrimskrams und dem pompösen Militärgepränge der größte Teil jener vorbehaltslosen Popularität zu verdanken ist, derer sich unser »herrliches Kriegsheer« bei Kindern, Narren, Dienstmädchen und Lumpenproletariern reichlich rühmen darf. (…)
Alle diese Mittel wirken um so besser, je tiefer das geistige Niveau der Soldaten, je tiefer ihre soziale Lage ist; denn solche Elemente sind, nicht nur vermöge ihrer geringen Urteilsfähigkeit, durch Flitter und Tand leichter zu betrügen, für sie ist auch (…) der Unterschied zwischen dem Niveau ihrer früheren bürgerlichen und dem ihrer militärischen Stellung besonders groß und aufdringlich. So ergibt sich der tragische Konflikt, dass diese Mittel inniger bei dem intelligenten Industrieproletarier, auf den sie gerade in erster Linie zu wirken bestimmt sind, als auf diejenigen Elemente wirken, auf die ein Einfluss in dieser Richtung wenigstens vorläufig noch kaum notwendig scheint, da sie ohne weiteres ein hinreichend gefügiges Material für den Militarismus bilden. Immerhin mögen jene Mittel auch hier zur Konservierung des dem Militarismus genehmen »Geistes« beitragen. (…)
Wenn alles getan ist, um den Soldaten gewissermaßen in eine Besoffenheitsstimmung zu versetzen, seine Seele zu narkotisieren, sein Gefühls- und Phantasieleben zu exaltieren, gilt es, seine Verstandeskräfte systematisch zu bearbeiten. Die Instruktionsstunde setzt ein und sucht dem Soldaten ein kindisches, schiefes, für die Zwecke des Militarismus zurechtgestutztes Weltbild einzupauken.
Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung. Leipzig 1907, Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft. Hier zitiert nach: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Band I. Dietz-Verlag, Berlin 1958, Seiten 288–294
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Hartberg (18. Januar 2025 um 20:58 Uhr)Auch heute noch zutreffend, jedoch nicht nur für die Armeen, sondern auch die Bullen.
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