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Aus: Ausgabe vom 18.01.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Klassenfrage und Revolte

Von Arnold Schölzel
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Unter der Überschrift »Die Hoffnung wechselte die Seite« untersucht Heinrich Wefing in der Zeit, deren stellvertretender Politikchef er ist, die Motive der Wähler Donald Trumps. Die Unterzeilen lauten: »Donald Trump, eine Gefahr für die Demokratie? Das sagen vielleicht die Europäer. Wa­rum viele Menschen in den USA und in großen Teilen der Welt mit Zuversicht auf seinen Amtsantritt blicken.«

Die »Zuversicht in großen Teilen der Welt« belegt Wefing mit einer globalen Umfrage. Demnach seien von Indien über die Türkei bis Brasilien »die Menschen mehrheitlich der Meinung, Trumps Wiederwahl sei eine ›gute Sache‹ für den Frieden, für ihr eigenes Land und für das amerikanische Volk.« Spitzenreiter sei Indien mit 84 Prozent, in der EU glaubten dagegen nur 22 Prozent Ähnliches. In den USA, wo Trump 74 Millionen Stimmen erhielt, habe die Hoffnung auf ein anderes Leben »die Seiten gewechselt« und sei nach rechts gewandert. Wefing meint, entscheidend »dürfte die intellektuelle und programmatische Erstarrung der Demokratie sein.« Er selbst widerlegt im folgenden diese dürftige Deutung und nennt Tatbestände, die besagen: Es geht um eine soziale Katatstrophe.

Wer zum Beispiel in den USA nach der Highschool zu arbeiten beginne, »verdient weniger, wird häufiger übergewichtig, bekommt mehr uneheliche Kinder, stirbt im Durchschnitt mehrere Jahre früher.« Während der Pandemie hätten Leute mit Collegeabschluss in Zoom-Schalten gesessen, die anderen hätten den Müll weggebracht, an Supermarktkassen gesessen und Tote begraben. In der sogenannten Opioidkrise, die zwischen 1999 und 2021 rund 645.000 Menschen das Leben gekostet habe, starb, wer keinen Collegeabschluss hatte, »sechsmal so häufig wie die mit Diplom«. Erst Trump habe 2017 eine nationale »Gesundheitsnotlage« erklärt, von den Demokraten seien die Pharmakonzerne nicht gestoppt worden. In den US-Kriegen der vergangenen Jahrzehnte waren es laut Wefing »vor allem Männer und Frauen ohne Collegeabschluss gewesen, die das Kämpfen und Sterben übernahmen«. Die Finanzkrise 2008 habe zudem Millionen Menschen ihre Häuser genommen. Und es sei nicht schwer zu verstehen, »dass die Menschen ohne Collegeabschluss, die all das durchgemacht haben, nur mäßig begeistert sind, sich von den Privilegierten an den Universitäten, in den Medien und in der Politik auch noch sagen zu lassen, wie sie besser leben sollten. Dass es dumm sei, hinterwäldlerisch, weiter Fleisch zu essen, Pick-ups zu fahren und Waffen zu besitzen.« Die Wahl Trumps sei eine »landesweite Revolte gegen das Establishment«. Oder anders gesagt: »Die Verteidigung der Institutionen ist zu einer Klassenfrage geworden. Genauer: zu einem Anliegen der upper class.« So hätten Biden und Harris die Wahl zu einer Abstimmung über Demokratie stilisiert, aber den Verdacht genährt, »mit der Demokratie meinten die Demokraten sich selbst.« Und die Privilegien des Establishments.

Wefing ahnt etwas, bleibt aber im Trott des »Demokratie«-Karrengauls, der auf Hoffnungsstiftung durch andere als Trump hofft. Markus Lanz hofft offenbar auch darauf nicht mehr. Er regte sich am Dienstag in seiner ZDF-Sendung über Elon Musk auf: Es gebe in den USA zahllose Obdachlose in Zelten, die drogenabhängig dahinvegetierten – und Musk wolle »dem Rest der Welt erklären, dass weniger Staat besser ist als mehr!«. In Zahlen: »38 Millionen Amerikaner leben in bitterer Armut. 20 Prozent haben nicht mal eine funktionierende Toilette. Eine Million Schulkinder schlafen in Autos, Motels, irgendwo in irgendwelchen Zeltstädten.« Das sagte er kurz vor Mitternacht, vom medialen »Rettet die Demokratie vor Trump«-Schwall wurde es verschluckt.

Wefing ahnt etwas, bleibt aber im Trott des »Demokratie«-Karrengauls, der auf Hoffnungsstiftung durch andere als Trump hofft. Markus Lanz hofft offenbar auch darauf nicht mehr

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Januar 2025 um 13:08 Uhr)
    Kommentatoren sehen eine Zeitenwende und diskutieren meistens pessimistisch, was die USA und den Rest der Welt nun erwartet. ABC – Spanien zieht ein drastisches Resumé: »Die zweite Amtszeit von Donald Trump im Weißen Haus markiert das Ende der gesamten Neuzeit. Und den Beginn einer beunruhigenden neuen Welt, in der künstliche Intelligenz sprunghaft perfektioniert wird, der Planet überhitzt, die globale Fruchtbarkeitsrate schwächelt, die Wahrheit relativer denn je ist, Oligarchen immer mehr Macht anhäufen, Autokratien die Zukunft einfordern und Demokratien sich wie bedrohte Arten verhalten.« Diena – Lettland sieht bei der Migrationsfrage eine Spaltung in Trumps Anhängerkreis: MAGA [Make America Great Again] oder Nationalkonservative fordern die Beseitigung der illegalen Einwanderung sowie eine radikale Reduzierung der legalen Einwanderung, während Technomilliardäre die Ansicht vertreten, dass die Vereinigten Staaten weiterhin Talente aus aller Welt anziehen müssen. (…) Interessant an der Situation ist außerdem, dass fast alle Tech-Milliardäre, die Anhänger von Trump sind (oft als PayPal-Mafia bezeichnet), nicht in den USA geboren wurden. (...) Das ist ein Anzeichen dafür, dass sich zwischen diesen beiden Lagern ein längerfristiger Konflikt anbahnt.» Der Tages-Anzeiger Schweiz nennt sogar Trumps USA in einem Atemzug mit Russland und China: «Mit Trump betritt ein Bully den globalen Schulhausplatz. Er ist der dritte, der da auftaucht, Wladimir Putin und Xi Jinping stehen schon breitbeinig da. Bully ist das englische Wort für einen Rüpel, der schwächere Mitschülerinnen und Mitschüler einschüchtert. Trump, obwohl demokratisch gewählt, ist ein solcher Rüpel. (…) Die beiden anderen Bullys dürften sich – trotz aller Rivalität – auf Trumps Gesellschaft freuen. Denn fortan sind sie nicht mehr die einzigen Herrscher, die Staatsgrenzen verschieben möchten. (…) Heute am 20. Januar kommt eine dritte revisionistische Großmacht hinzu, die USA von Donald Trump.»
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Bernhard K. aus Niestetal (20. Januar 2025 um 09:35 Uhr)
    Ein guter Ansatz … wenn Sie von Demokratie reden, meinen Sie sich selbst, denn den politischen Bürgerlichen und auch große Teile der Linken sind diesem Slogan verfallen. Das hat der »Demokratie« bis heute schweren Schaden zugefügt. Und es greift zurück bis in die sogenannte Wendezeit. Da sind die Bürgerlichen in die Offensive gestartet und haben einen letzten Rest von Demokratie beendet. Sie waren es, die den Faschismus erst wieder salonfähig gemacht haben. Auch deshalb hat in der BRD das Feuer der Faschisten und Nazis nie ausgelöscht. Bis zum Tag X, an dem sie die faschistische Gesinnung wieder für ihre Zwecke genutzt haben. Diesmal allerdings mit Schwerpunkt im Osten der Republik. Wenn man sich ehrlich machen würde, dann würde man sagen: Die bürgerlichen Parteien der Alten BRD sind die Steigbügelhalter der AFD und die Linken und die Gewerkschaften sind diesem perfiden Plan auf den Leim gegangen. Immer natürlich unter dem Deckmantel der Demokratie der westlichen Wertegemeinschaft. Denn mittlerweile differenziert man, was demokratisch ist. Die alten Definitionen aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieg werden als überholt über Bord geworfen. Ist vielleicht verständlich, man bereitet sich schließlich auf den dritten Weltkrieg vor und da sollte man schon wissen, auf welcher Seite man steht. Weiter kann ich an der Stelle nicht mehr. Nur eins zum Schluss: »In der Realität ist die Wirklichkeit ganz anders.« Einen schönen Tag noch

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