Klassenfrage und Revolte
Von Arnold SchölzelUnter der Überschrift »Die Hoffnung wechselte die Seite« untersucht Heinrich Wefing in der Zeit, deren stellvertretender Politikchef er ist, die Motive der Wähler Donald Trumps. Die Unterzeilen lauten: »Donald Trump, eine Gefahr für die Demokratie? Das sagen vielleicht die Europäer. Warum viele Menschen in den USA und in großen Teilen der Welt mit Zuversicht auf seinen Amtsantritt blicken.«
Die »Zuversicht in großen Teilen der Welt« belegt Wefing mit einer globalen Umfrage. Demnach seien von Indien über die Türkei bis Brasilien »die Menschen mehrheitlich der Meinung, Trumps Wiederwahl sei eine ›gute Sache‹ für den Frieden, für ihr eigenes Land und für das amerikanische Volk.« Spitzenreiter sei Indien mit 84 Prozent, in der EU glaubten dagegen nur 22 Prozent Ähnliches. In den USA, wo Trump 74 Millionen Stimmen erhielt, habe die Hoffnung auf ein anderes Leben »die Seiten gewechselt« und sei nach rechts gewandert. Wefing meint, entscheidend »dürfte die intellektuelle und programmatische Erstarrung der Demokratie sein.« Er selbst widerlegt im folgenden diese dürftige Deutung und nennt Tatbestände, die besagen: Es geht um eine soziale Katatstrophe.
Wer zum Beispiel in den USA nach der Highschool zu arbeiten beginne, »verdient weniger, wird häufiger übergewichtig, bekommt mehr uneheliche Kinder, stirbt im Durchschnitt mehrere Jahre früher.« Während der Pandemie hätten Leute mit Collegeabschluss in Zoom-Schalten gesessen, die anderen hätten den Müll weggebracht, an Supermarktkassen gesessen und Tote begraben. In der sogenannten Opioidkrise, die zwischen 1999 und 2021 rund 645.000 Menschen das Leben gekostet habe, starb, wer keinen Collegeabschluss hatte, »sechsmal so häufig wie die mit Diplom.« Erst Trump habe 2017 eine nationale »Gesundheitsnotlage« erklärt, von den Demokraten seien die Pharmakonzerne nicht gestoppt worden. In den US-Kriegen der vergangenen Jahrzehnte waren laut Wefing es »vor allem Männer und Frauen ohne Collegeabschluss gewesen, die das Kämpfen und Sterben übernahmen.« Die Finanzkrise 2008 habe zudem Millionen Menschen ihre Häuser genommen. Und es sei nicht schwer zu verstehen, »dass die Menschen ohne Collegeabschluss, die all das durchgemacht haben, nur mäßig begeistert sind, sich von den Privilegierten an den Universitäten, in den Medien und in der Politik auch noch sagen zu lassen, wie sie besser leben sollten. Dass es dumm sei, hinterwäldlerisch, weiter Fleisch zu essen, Pick-ups zu fahren und Waffen zu besitzen.« Die Wahl Trumps sei eine »landesweite Revolte gegen das Establishment«. Oder anders gesagt: »Die Verteidigung der Institutionen ist zu einer Klassenfrage geworden. Genauer: zu einem Anliegen der upper class.« So hätten Biden und Harris die Wahl zu einer Abstimmung über Demokratie stilisiert, aber den Verdacht genährt, »mit der Demokratie meinten die Demokraten sich selbst.« Und die Privilegien des Establishments.
Wefing ahnt etwas, bleibt aber im Trott des »Demokratie«-Karrengauls, der auf Hoffnungsstiftung durch andere als Trump hofft. Markus Lanz hofft offenbar auch darauf nicht mehr. Er regte sich am Dienstag in seiner ZDF-Sendung über Elon Musk auf: Es gebe in den USA zahllose Obdachlose in Zelten, die drogenabhängig dahinvegetierten – und Musk wolle »dem Rest der Welt erklären, dass weniger Staat besser ist als mehr!«. In Zahlen: »38 Millionen Amerikaner leben in bitterer Armut. 20 Prozent haben nicht mal eine funktionierende Toilette. Eine Million Schulkinder schlafen in Autos, Motels, irgendwo in irgendwelchen Zeltstädten.« Das sagte er kurz vor Mitternacht, vom medialen »Rettet die Demokratie vor Trump«-Schwall wurde es verschluckt.
Wefing ahnt etwas, bleibt aber im Trott des »Demokratie«-Karrengauls, der auf Hoffnungsstiftung durch andere als Trump hofft. Markus Lanz hofft offenbar auch darauf nicht mehr
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