»Dieser überzogene Vorwurf soll Hanna einschüchtern«
Interview: Henning von StoltzenbergIm sogenannten Budapest-Komplex hat die ungarische Justiz mittlerweile Anklage gegen Maja T. erhoben. In Deutschland soll sich die Nazigegnerin Hanna S. ab 19. Februar in München vor Gericht verantworten. Was wird ihr zur Last gelegt?
Auch Hanna wird beschuldigt, am sogenannten Tag der Ehre in Budapest 2023 an körperlichen Auseinandersetzungen mit Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Der »Tag der Ehre« ist ein jährliches Spektakel, zu dem Nazis aus ganz Europa anreisen, um – teilweise mit SS-Uniformen und anderen NS-Devotionalien – an einen Ausbruchsversuch der Wehrmacht aus dem Kessel der Roten Armee zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Neben Hanna, die in Nürnberg im Gefängnis sitzt, gibt es noch weitere Inhaftierte in Italien und Frankreich. Weitere Beschuldigte sahen sich gezwungen, unterzutauchen, um einer Auslieferung nach Ungarn, wie es mit Maja bereits geschehen ist, zu entgehen. Maja sitzt seit knapp sieben Monaten unter menschenunwürdigen Bedingungen in Ungarn im Gefängnis. Über ihnen allen schwebt unter anderem der absurde Vorwurf des »versuchten Mordes«.
Was bedeutet das für die Beschuldigte?
Mit diesem überzogenen Vorwurf soll einerseits Hanna eingeschüchtert und das zu erwartende Strafmaß heraufgeschraubt werden. Andererseits geht es darum, die breite Solidarität mit ihr zu brechen – glücklicherweise erfolglos, die Solidarität ist nach wie vor ungebrochen stark! Außerdem ist der Vorwurf des Mordversuchs als deutliches Signal an alle Untergetauchten zu werten. Da auch versuchter Mord nicht verjährt, erhöht sich der Druck auf alle nicht gefassten Beschuldigten enorm. In einer Mitteilung räumt das Oberlandesgericht München allerdings ein, dass auch eine Verurteilung »nur« für »gefährliche Körperverletzung« in Betracht kommt.
Hanna S. wurde nicht nach Ungarn ausgeliefert. Ist das ein Indiz für einen vergleichsweise fairen Prozess?
Auch hierzulande ist kein fairer Prozess zu erwarten. Das zeigen nicht zuletzt die allen rechtlichen Standards zuwiderlaufende Auslieferung Majas und die absurde Anklage auf »versuchten Mord« im Falle Hannas. Angesichts der mehrfach von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisierten ungarischen Haftbedingungen muss eine Auslieferung unbedingt verhindert werden. So berichtet etwa Maja von Anfeindungen seitens der Wärter, Isolationshaft, vergammeltem Essen und nicht ausreichender Hygiene. Auch die Europäische Union hat bereits finanzielle Mittel für das rechtsautoritäre Regime gestrichen – unter anderem wegen der Haftbedingungen und der fehlenden Unabhängigkeit der ungarischen Justiz. Auch in Deutschland wurden ungarischen Auslieferungsbescheiden schon Absagen aus genannten Gründen erteilt. Und selbst die italienische Regierung der ultrarechten »Fratelli d’Italia« wies die ungarischen Auslieferungsgesuche gegen italienische Antifaschistinnen und Antifaschisten zurück!
Am Sonnabend fand die voraussichtlich letzte Kundgebung Ihres Solikreises vor der JVA statt. Was hat Sie dazu veranlasst?
Im Laufe der vergangenen neun Monate haben unzählige Gruppen, Initiativen und Kreise ihre Solidarität mit Hanna bekundet. Zum Abschluss unserer monatlichen Kundgebungen sollten alle, die sich seit ihrer Festnahme Anfang Mai 2024 solidarisch gezeigt haben, die Möglichkeit bekommen, vorerst zum letzten Mal in Nürnberg Worte an Hanna zu richten. Sie kann die Kundgebungen von ihrer Zelle aus gut hören.
Wie geht es für sie weiter?
Spätestens Mitte Februar wird Hanna wegen des Prozesses wohl nach München verbracht. Dort endet die Solidaritätsarbeit selbstvderständlich nicht. Auch in München gibt es viele Menschen, die sich solidarisch mit Hanna zeigen, den Prozess kritisch begleiten und Solidaritätsarbeit leisten wollen. Freilich werden wir aus Nürnberg zu Prozesstagen nach München anreisen und auch unsere Arbeit hier vor Ort in Nürnberg fortführen.
Alex Schmidt ist Sprecher des »Solikreises Nürnberg«
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