Sozialstaat gegen »Meta-Krise«
Von Gert Hautsch, Frankfurt am Main
Die Latte war hoch gehängt worden, zumindest verbal. Unter dem Motto »Wir machen Zukunft! Solidarität gewinnt!« lud die IG Metall Frankfurt am Main am Sonnabend zum Politischen Jahresauftakt. Michael Erhardt, der erste Bevollmächtigte, und sein Stellvertreter Christian Egner kündigten an, nach der Bundestagswahl »richtig draufhauen« zu wollen, um bei den drei zentralen Problemen erfolgreich zu sein: Erhaltung der Industriearbeitsplätze, Verteidigung des Sozialstaats und Kampf gegen rechts. Entsprechend werde für den bundesweiten Aktionstag am 15. März mobilisiert.
Im Zentrum des Treffens stand ein Vortrag von Klaus Dörre, Professor an der Universität Jena: »Die inszenierte Krise. Industrie und Arbeitsbeziehungen in der Transformation«. Er diagnostiziert eine ökologisch-ökonomische Zangenkrise. In Deutschland drohe Deindustrialisierung, die Versuche zu deren Bekämpfung bewirkten jedoch das Gegenteil, sie bedeuteten ökologisch eine Rolle rückwärts und politisch einen Generalangriff auf die Gewerkschaften.
Die Dimension dieser »Metakrise« scheine bei den wirtschaftlichen und politischen Eliten nicht angekommen zu sein, was an der Konzentration von »eigentumsbasierter Entscheidungsmacht über Produktionsmittel, Geschäftsmodelle und Investitionen« liege. Am Beispiel VW: Selbst die Führungskräfte in den einzelnen Werken hätten keinen Einfluss auf die strategischen Weichenstellungen, entschieden werde von den Mehrheitseignern und der Konzernspitze – wenigen Einzelpersonen, für die nur der kurzfristige Profit zähle. Für die Folgen ihrer Entscheidungen (z. B. das Festhalten an Verbrenner-SUVs) würden aber die Belegschaften verantwortlich gemacht.
Solche Zusammenhänge blieben den arbeitenden Menschen nicht verborgen, so Dörre. Sie müssten gleichzeitig erkennen, dass scheinbare Sicherheiten nicht mehr gelten – siehe die Beschäftigungsgarantie bei VW. Statt dessen würden Figuren wie Elon Musk als Lichtgestalten gefeiert. Das schlage sich dann in den Wahlergebnissen der AfD nieder. »Die Krise wird für eine Zeitenwende in den organisierten Arbeitsbeziehungen genutzt. Die öffentliche Meinung leidet unter kollektiver Amnesie. Während des großen Finanzcrashs noch als Krisenmanager gefeiert, stehen die Gewerkschaften nun wieder am Pranger. Ihnen wird angelastet, was sie nicht zu verantworten haben.«
Was folgt daraus? Die Gewerkschaften und insbesondere die IG Metall müssten sich auf eine Ära härtester Auseinandersetzungen einstellen. Dafür benötigten sie nicht nur Konfliktbereitschaft, sondern auch eine längerfristige Vision. Dörres Idee eines »demokratischen, inklusiven, ökologischen Sozialstaats« zielt weit über die derzeitigen Verhältnisse hinaus in Richtung Umverteilung von oben nach unten, Verringerung der sozialen Trennung, Mitbestimmung über Investitionen bis hin zu veränderten Eigentumsformen. Es gehe um eine Aufwertung öffentlicher Leistungen, vor allem aber müsse die Schuldenbremse fallen. Auf dem Weg dorthin werde es nötig sein, »dickste Bretter zu bohren«.
Sind die Gewerkschaften in der Lage, ernsthafte Konflikte mit dem Kapital und der Politik auszutragen? Diese Frage wurde beim Politischen Jahresauftakt gestellt. Hier wäre eine Bewertung der jüngsten Auseinandersetzungen der IG Metall interessant gewesen. Weder in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie im Oktober/November noch beim Kompromiss mit dem VW-Management im Dezember war ein Bemühen erkennbar, die eigene Kraft auszureizen. So kamen Einigungen zustande, die Reallohnverluste festschreiben und die Vernichtung Zehntausender Arbeitsplätze sowie Einkommensverzicht bei VW bedeuten. Dazu gab es im Saal aber keine Aussage.
Ein anderes Thema kam in der Diskussion zur Sprache, nachdem es Klaus Dörre schon gestreift hatte: die aberwitzige Aufrüstungsorgie. »Das Geld für die Rüstung gehört in den Sozialbereich!« rief eine Rednerin. Ein anderer wandte sich gegen die Erziehung zur Kriegstüchtigkeit an den Schulen. Dafür gab es Beifall. Und kurz danach dann Kartoffelsuppe.
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