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Aus: Ausgabe vom 22.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Aus der Zeit gefallen

Ein Gerichtsdrama: Clint Eastwoods 40. Spielfilm »Juror #2«
Von Holger Römers
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Schlechtes Gewissen: Geschworener Justin (Nicholas Hoult)

Clint Eastwoods neuer Film bot US-Medien Anlass, die Undankbarkeit des Filmgeschäfts zu beklagen. »Juror #2« wurde nämlich auffallend lieblos von Warner Brothers auf den heimischen Markt geworfen, obwohl der Filmemacher dem Studio ein halbes Jahrhundert Treue bewiesen und mehrfach dreistellige Millionenerträge sowie Oscars beschert hatte. Dass die 40. Spielfilmregie des nunmehr 94jährigen auf kaum einer US-Leinwand zu sehen war, ist freilich logisch, denn als Kinoware scheint dieser Film aus der Zeit gefallen – was selbstverständlich nichts Schlechtes ist.

Das vom weitgehend unbekannten Debütautor Jonathan Abrams verfasste Drehbuch steckt den Protagonisten in eine Zwangslage, die eines Film-Noir-Antihelden würdig wäre: Als Geschworenem in einem Mordprozess wird dem Journalisten Justin (Nicholas Hoult) schlagartig bewusst, dass er das vermeintliche Opfer einer Beziehungstat wohl unwissentlich selbst auf einer abgelegenen Landstraße bei Starkregen überfahren hat. Daraus leiten Abrams und Eastwood ein Gerichtsdrama ab, das reizvoll Sidney Lumets Genreklassiker »Die zwölf Geschworenen« (1957) variiert. Auch hier will die Hauptfigur die anderen Jurymitglieder von einem Fehlurteil abhalten. Allerdings weiß Justin von einem zu Rat gezogenen Anwalt (Kiefer Sutherland), dass eine Neuauflage des Prozesses ihn wahrscheinlich selbst Jahre hinter Gitter brächte. Indizien würden nämlich den Verdacht wecken, dass der trockene Alkoholiker in jener Nacht betrunken hinterm Steuer gesessen habe.

Dabei bedient sich die Dramaturgie nie extravaganterer Mittel als einer Parallelmontage, die die gegensätzlichen Darstellungen des Tathergangs durch die Staatsanwältin (Toni Collette) und den Verteidiger (Chris Messina) um Justins Erinnerung ergänzt. So kristallisiert sich das Drama in Großaufnahmen der Gesichter heraus: Inwiefern beeinflusst das grobschlächtige Erscheinungsbild des Angeklagten (Gabriel Basso) die Geschworenen? Inwieweit deutet Justins Umfeld, einschließlich der hochschwangeren Ehefrau (Zoey Deutch), dessen Nervosität als Zeichen seiner Schuld – oder anders? Und spiegelt die Miene der Staatsanwältin schließlich wachsende Zweifel an ihrer Anklage?

Dass diese Frau fürs Amt der Bezirksstaatsanwältin kandidiert und sich von einer raschen Verurteilung Stimmen bei den anstehenden Wahlen verspricht, stellt früh ein Telefonat klar. Andere Dialoge verweisen auf die strukturelle Unterfinanzierung von Pflichtverteidigern, was entsprechende Versäumnisse bei der Zeugenbefragung erklärt (und Leerstellen im Drehbuch kaschiert). Und die Jurydebatten zeugen von einer Ungeduld, die verständlicherweise bei jenen Geschworenen am größten ist, deren Berufe handfeste Alltagsnöte erahnen lassen, nämlich bei einer Busfahrerin und einem Jugendbetreuer.

Diese Nebenfiguren sind beide mit schwarzen Darstellern (Adrienne C. Moore beziehungsweise Cedric Yarbrough) besetzt, der unschuldig Angeklagte dagegen mit einem weißen, was Gleichgültigkeit gegenüber politischer Korrektheit signalisieren mag. Allerdings wirkt das ebenso wenig kokett wie die Neutralität, mit der die Regie die Beteuerung des vermeintlichen Mörders protokolliert, dass ihn mit dem Todesopfer wirklich Liebe verbunden habe – obwohl Handgreiflichkeiten gegenüber der jungen Frau (gespielt von Eastwoods Tochter Francesca) unbestritten sind. Dieser Verzicht auf Unmissverständlichkeit mag Eastwoods Konservatismus spiegeln. Jedenfalls regt er um so mehr zu der Überlegung an, inwiefern sich das Rechtssystem in einer von starken Konflikten geprägten Gesellschaft verbessern ließe. Und inwiefern nicht.

»Juror #2«, Regie: Clint Eastwood, USA 2024, 114 Min., bereits angelaufen

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