Rotlicht: Intelligenztest
Von Christoph HorstFinanziell gut ausgestattete Eltern haben, wenn ihr Kind in der Schule unterfordert scheint, nicht selten den Verdacht, dass das erblich bedingt und der Nachwuchs qua Natur zu gut für die Regelschule sei. Es findet sich auch immer ein (privates) Institut, das gegen Cash einen Intelligenztest durchführt und dem Kind bescheinigt, ganz besonders begabt zu sein, also in seinem Gehirn oder seinen Genen die besten »Anlagen« zu tragen. Diese Diagnose können Kind und Eltern dann vor sich hertragen und darauf verweisen, dass es in der Lernkonkurrenz eigentlich viel besser stehen müsste, wenn es nur nicht von den Leistungsschwachen ständig ausgebremst würde.
Was da getestet wurde, ist durchaus im Sinne der Psychologie, die fest davon ausgeht, dass Erfolg im bürgerlichen Schulsystem auf eine Substanz im Inneren des Kindes verweisen muss. Weil es eine Aufgabe im Intelligenztest lösen oder auch nur schneller als der Durchschnitt lösen kann, wird romantisch spekuliert, dass es im Gehirn so etwas wie Intelligenz geben muss, die das möglich macht. Was ein IQ-Test sicher aussagen kann, ist hingegen ausschließlich, wie gut ein Schüler die Testfragen beantwortet hat. Warum er die Lösung gefunden hat, kann vielfältige Ursachen haben: Vielleicht hatte er aus irgendeinem Lebensbereich Vorbildung, vielleicht war er besonders bemüht, weil ihm die Aufgaben Spaß gemacht haben, möglicherweise hat er sich wegen einer bevorstehenden Belohnung angestrengt. Was von dem sichtbaren Ergebnis auf eine innere Potenz zurückzuführen ist, bleibt reine Spekulation – fällt also in das Reich der Psychologie.
Jeder, der Kinder nicht unter pädagogische Theorien subsumiert, weiß darum, wie äußere Einflüsse und zuvor Erfahrenes das Lösen von Aufgaben beeinflussen und dass nicht zu unterscheiden ist, welche Leistung darauf und welche auf vermeintliche Anlagen zurückzuführen ist. Tests zur Erfassung eines Intelligenzquotienten verändern sich ständig, ohne jemals eine Aussage darüber treffen zu können, warum die richtige Antwort gefunden wurde. Ein Gebrauch im Dienste des Rassismus liegt da nahe.
Und tatsächlich ließ sich beispielsweise in den 1970ern in den USA psychologisch feststellen, dass Schwarze einen niedrigeren IQ haben als Weiße. Entwickelt wurden die meisten Tests selbstverständlich in der Lebenswelt des westlichen Bürgertums, als der Franzose Alfred Binet (1857–1911) mit Schädelmessungen zur Bestimmung einer Intelligenz scheiterte. Die grundlegende Idee der Vermessung geistiger Fähigkeiten ist ein Produkt der bürgerlichen Welt, die die Menschen als Konkurrenten antreten lässt, und geht zurück auf Francis Galton (1822–1911), den Begründer der Eugenik. Er wollte alles am Menschen quantifizieren und so den Grundstein dafür legen, auch Verstandesleistung auf Zahlen reduzieren zu können.
Es wundert nicht, dass Galton und seine Nachfolger damit auch für eugenische Gedanken anfällig waren. Denn wem sollte man ein Pflegekind anvertrauen: den gemessen »Intelligenten« oder den »Nichtintelligenten«? Wer sollte familienpolitisch bessergestellt werden: die als begabt Getesteten oder die vermeintlich Unbegabten? Oder zu Hochzeiten der Bewertung von »Anlagen«: Wie klug müssen »Schwachsinnige« sein, um dennoch ein Lebensrecht zu haben? Für die Intelligenzvermesser des (frühen) 20. Jahrhunderts war der Sprung zur Menschensortierung noch klein. Heute wird sie eher versteckt: beispielsweise an Eliteschulen, an denen Intelligenz wie zufällig mit der Dicke der elterlichen Brieftasche korreliert. Kritische Psychologen kennen diese Einwände und erfinden die nächsten Testgegenstände. Denn wenn Menschen nicht gut mit den IQ-Tests umgehen können, haben sie vielleicht eher eine emotionale oder soziale Intelligenz – was auch immer das sein soll. Und damit schreitet dann das Vermessen des Menschen munter fort.
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