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Aus: Ausgabe vom 22.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Klassik

Mit Anton auf du und du

Was vom Bruckner-Jahr bleibt: Resümee und zwei Ausstellungen in Linz und Wien
Von Florian Neuner
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Anton Bruckner (4. September 1824–11. Oktober 1896)

Das Bruckner-Jahr ist zu Ende. Das Jubiläum hat erwartbar zu mehr Aufführungen und Einspielungen des im Musikleben ohnehin omnipräsenten Komponisten geführt. Die Wiener Philharmoniker etwa legten ihren ersten Bruckner-Zyklus vor, leider unter Christian Thielemann; für Freaks spielte Hansjörg Albrecht elf Symphonien (inklusive »Nullter« und Studiensymphonie) als Orgelstranskriptionen ein, und eine erste Gesamteinspielung der neun Symphonien aus China (unter Jü Lia) ist inzwischen auch im Angebot. Für Anton Bruckners oberösterreichische Heimat war dessen 200. Geburtstag Anlass, ein neues sogenanntes Kulturformat zu kreieren: die »OÖ Kultur-EXPO«.

Anders als Mozart oder Johann Strauß, dem musikalischen Jahresregenten 2025, der übrigens viel von seinem Kollegen Bruckner hielt, lässt sich der Symphoniker freilich schlecht häppchenweise kulturtouristisch vermarkten. Wer sich dieser gegen schnelle Konsumierbarkeit imprägnierten Musik nähern will, muss schon Zeit, Geduld und Interesse aufbringen. Also musste es den Eventmanagern in Linz darum gehen, das Werk und die Person möglichst zu entkoppeln. Landeshauptmann Thomas Stelzer sprach folgerichtig davon, »einen Menschen in den Mittelpunkt« stellen zu wollen, »der eng mit Oberösterreich verbunden ist«, EXPO-Leiter Norbert Trawöger halluzinierte gar »ein neues Wir«. Geboten wurden Veranstaltungsreihen wie »Bruckner goes Wirtshaus«, im Rahmen eines Kunstprojekts wurden »Menschen in (sic!) unterschiedlichen Orten und Situationen« dazu angehalten, Fragmente aus der Partitur der 9. Symphonie zu sticken, für Kinder gab es einen Orgelspielplatz und ein »Bruckner-Maiserlebnislabyrinth«, ein Linzer Komponist baute einen »Bruckner-Schrein« und vertickte bunte Bruckner-Statuetten und Plastiktotenmasken. »Bruckner in der Klubszene? Na klar!« hieß es, und in Publikationen wie »Dickschädels Reisen« wurden endlos Anekdoten wiedergekäut. Eine »Planetenseilbahn« über die Donau, die Johannes Kepler, den anderen Linzer Lokalheroen, mit Bruckner koppeln sollte (8 Planeten + Sonne = 9 Symphonien), blieb glücklicherweise ungebaut; man kann die Symphonien/Planeten immerhin als Pralinen kaufen.

Den seriösen Kern der EXPO bildete neben vielen Konzerten aber die Ausstellung »Wie alles begann. Bruckners Visionen« im Stift St. Florian (profunder Katalog im Verlag Müry Salzmann). Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek an Bruckners späterer Wirkungsstätte Wien ist noch bis Ende Januar die Ausstellung »Der fromme Revolutionär« zu sehen, die mit den Originalmanuskripten im Besitz des Hauses aufwarten kann und deren Präsentation mit Kuriositäten wie Bruckners Schlapphut oder dem Gesuch um Fastendispens, das der Vielfraß an den Fürsterzbischof in Wien richtete, flankiert wurde. Wer sich durch den Prunksaal kämpft, der immer vollgestopft ist mit Touristen, die wegen der Barockarchitektur und der Deckenfresken kommen, kann sich solide und in Grundzügen über Leben und Werk Bruckners informieren. Leider hat man für die Hörstationen auf die grässlichen, zerdehnten Aufnahmen der Symphonien zurückgegriffen, die unter Rémy Ballot mit zweitklassigen Orchestern in der halligen Stiftskirche St. Florian entstanden sind.

Das Linzer Stadtmuseum Nordico indes zeigt unter dem dämlich anbiedernden Motto »It’s me, Toni« eine Ausstellung, die sich auf die »Suche nach der Identität Anton Bruckners« begeben will. Auch hier wird die Biographie aufgerollt, die zeitgenössische Auseinandersetzung aber scheitert unter einem Wust von Nippes und an fragwürdigen Ansätzen. Als »zukunftsweisend« etwa wird seine Musik präsentiert, weil die Soundtracks von Filmen wie »Star Wars« oder »Mr. Bean« angeblich an Bruckner erinnern. Die Kuratorin Klaudia Kreslehner scheint vor allem ein ernsthaftes Problem damit zu haben, dass Anton Bruckner keine Frau war. Dem begegnet sie mit einer ganzen Phalanx von Comiczeichnerinnen – pardon: Künstlerinnen, die mit »Graphic Novels« beauftragt wurden und das Bemühen um Korrektheit, das die heutigen Museen so fest im Griff hat, unzulässig zurück ins 19. Jahrhundert projiziert. Das führt zu unfreiwillig komischen Aussagen wie: »Es mag sein, dass Anton Bruckner ein genialer Komponist und ein netter Mensch war. Trotzdem glaube ich, dass er vielen Frauen zu nahe getreten ist und diese dadurch in unangenehme Situationen gebracht hat.« Glauben kann man ja vieles – auch, dass ein reinkarnierter Bruckner 2024 Klimaaktivistin geworden wäre.

Ausgerechnet im Jubeljahr stolperte Dietmar Kerschbaum, der Intendant des Brucknerhauses, über einen Skandal, in dessen Folge auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger zurücktreten musste, der seinen Freund ins Amt gehievt hatte. Das schöne moderne Konzerthaus am Donauufer, erbaut vom finnischen Architekten Heikki Sirén, feierte just im Bruckner-Jahr die Eröffnung 1974 und blickt nun hoffentlich besseren Zeiten entgegen – waren Kerschbaums Programme doch nur eine beliebige Melange aus Bruckner-Pflege und internationalem Gastspielbetrieb, ohne Konzept und dem Zeitgenössischen ganz und gar nicht zugewandt.

»Anton Bruckner. Der fromme Revolutionär«, Österreichische Nationalbibliothek, Josefsplatz 1, Wien I., bis 26. Januar 2025

»It’s me, Toni. Eine Suche nach der Identität Anton Bruckners«, Linzer Stadtmuseum Nordico, Simon-Wiesenthal-Platz 1, bis 23. März 2025

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (23. Januar 2025 um 05:00 Uhr)
    »Bruckners Schlapphut oder dem Gesuch um Fastendispens, das der Vielfraß an den Fürsterzbischof in Wien richtete«. Tote können sich nicht wehren, weder gegen die heute übliche Vermarktung noch gegen solch beleidigende Betitelungen. Bei Bruckner darf man. Politikerinnen der Grünen auch nur »dick« zu nennen, kann dagegen vor Gericht teuer werden. Da sind wir dann schon etwas höflicher als bei einem Menschen, der für das Weltkulturerbe einiges geleistet hat. Ich kann mich übrigens daran erinnern, einmal eine Stunde mit Bruckner allein in einem Raum verbracht zu haben. Er befindet sich jetzt einbalsamiert in seinem Sarg im Untergeschoss der Kirche in Linz, in der er so viele Jahre als Organist und Komponist wirkte. Dieser Raum wirkt etwas unheimlich, weil an den Wänden menschliche Knochen und Totenschädel aufgeschichtet sind. Bei Besuchen an solchen Stätten, aber auch in Museen, lasse ich immer die Touristengruppen maximal weit vorgehen, um in dem betreffenden Raum einen Moment der Ruhe zu haben. Das hatte ich in diesem Fall allerdings etwas übertrieben, was ich erst bemerkte, als der Schlüssel in der Tür zur Gruft knackte und das Licht ausgeschaltet wurde. Da hatte ich dann eine Stunde Zeit, mich in der Dunkelheit an seine Musik zu erinnern, auf die in diesem Artikel zum Abschluss des Bruckner-Jahres nicht mit einem einzigen anerkennenden Wort eingegangen wird. Einige der dort kritisierten touristischen Aktivitäten werden daher dennoch bei manchen Menschen mehr Interesse wecken, sich Bruckners Musik zu nähern, als es Florian Neuner hier vermochte.

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