Kein Aufatmen
Von Yaro AllisatMindestens 901 Menschen sind im vergangenen Jahr im Iran hingerichtet worden. Seit den Jin-Jiyan-Azadî-Protesten im Jahr 2022 stieg die Zahl laut Amnesty International kontinuierlich, vor allem nahm die Zahl der hingerichteten Frauen zu. Zwei Fälle erfuhren in den vergangenen Monaten breitere Unterstützung: die Todesurteile gegen die kurdische Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi und die kurdische Aktivistin Varisheh Moradi. Nun setzte Irans Oberstes Gericht die Vollstreckung der Todesstrafe gegen Azizi vorerst aus. Der Anwalt Maziar Tataei teilte am vergangenen Mittwoch auf X mit, dass das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens angenommen hat.
Indes reißt der Widerstand nicht ab. Im Januar initiierte eine Gruppe politischer Gefangener im Ghesel-Hesar-Gefängnis die »schwarzen Dienstage«. Das Ghesel Hesar ist einer der zentralen Orte für Hinrichtungen im Iran. Jeden Dienstag gehen die Gefangenen in einen Hungerstreik, um für ein Ende der Todesstrafe zu protestieren. Vor einer Woche wurden Medienberichten zufolge drei Richter des Obersten Gerichtshofs des Iran, die unter anderem für die Verhängung von Todesurteilen gegen Aktivisten verantwortlich sind, angegriffen, zwei von ihnen getötet. Der Angreifer nahm sich danach selbst das Leben.
Am Mittwoch vergangener Woche riefen die sechs größten Parteien Ostkurdistans zu einem Generalstreik gegen die Verurteilungen auf, um »Salz ins Getriebe der Tötungsmaschinerie« zu streuen. Auch die Gemeinschaft Freier Frauen Ostkurdistans (KJAR), der Dachverband der kurdischen Frauenbewegung in Ostkurdistan und Iran, beteiligte sich. Auf Videos ihrer Kampagne »No to Execution, Yes to free Life« waren in ganzen Straßenzügen geschlossene Geschäfte zu sehen, unter anderem in Azizis Geburtsstadt Mahabad und weiteren kurdischen Städten im Iran.
Pakhshan Azizi war zum ersten Mal während ihres Sozialarbeitsstudiums in Teheran vom November 2009 bis März 2010 in Haft, unter dem Vorwurf, an Protesten gegen die Hinrichtung kurdischer politischer Gefangener teilgenommen zu haben. Zwischen 2014 und 2022 leistete sie humanitäre Hilfe für vor allem jesidische Mädchen und Frauen in kurdischen Geflüchtetenlagern, die von Daesch, auch »Islamischer Staat« genannt, vertrieben worden waren. 2023 wurde sie festgenommen und laut dem in Frankreich sitzenden Kurdish Human Rights Network (KHRN) vier Monate lang im Evin-Gefängnis gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen. Im Juli 2024 verurteilte ein Revolutionsgericht in Teheran sie wegen »bewaffneten Aufstands gegen das System«, Anfang dieses Jahres bestätigte das Oberste Gericht das Urteil. Laut dem Anwalt Amir Raesian hätte jedoch »ein Blick in die Akten genügt, um festzustellen, dass sich Pakhshan Azizi lediglich für humanitäre Hilfe engagierte. Folglich wäre das Todesurteil aufgehoben worden«. Das forderte vor wenigen Tagen auch eine UN-Expertengruppe. Der UN-Sonderkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, zeigte sich zudem besorgt über die steigende Zahl der Hinrichtungen im Iran. Die meisten Todesurteile wurden dabei aufgrund von Drogendelikten vollstreckt, aber auch gegen Dissidenten und Oppositionelle.
Das Todesurteil gegen Moradi kann weiterhin jederzeit vollstreckt werden. Ihre Anwälte hatten bereits im vergangenen Jahr angekündigt, in dem Verfahren eine Revision erzwingen zu wollen. Moradi ist Mitglied der KJAR und engagierte sich für frauenpolitische und feministische Themen. Die KJAR wird vom iranischen Regime als »separatistische Terrororganisation« bezeichnet, da sie Teil der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) ist, die sich gegen die Unterdrückung der Kurden einsetzt. Sie wurde im August 2023 bei einer Polizeikontrolle festgenommen. Die Behörden verweigerten monatelang Aussagen über ihren Aufenthaltsort. Recherchen des KHRN fanden heraus, dass Moradi vom iranischen Geheimdienst über längere Zeit gefoltert wurde. Ende August 2024 wurde sie, wie auch Azizi, in das Evin-Gefängnis gebracht. Laut KHRN werde Moradi der Zugang zu einem Rechtsbeistand die meiste Zeit verwehrt. Ihr Prozess habe nur wenige Minuten gedauert, und Moradi habe sich nicht verteidigen dürfen. Gegen das Urteil ging die Aktivistin in den Hungerstreik. Ihr Zustand wurde lebensbedrohlich, doch Moradi beendete ihren Protest erst nach zahlreichen Appellen der KJAR und anderer NGOs.
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