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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 8 / Ausland
Türkischer Angriffskrieg in Syrien

»Die Zerstörung des Damms hätte katastrophale Folgen«

Syrien: Türkische Angriffe auf die Tischrin-Talsperre töteten bereits über 20 Menschen. Ein Gespräch mit Jakob Rihn
Interview: Gitta Düperthal
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Drohnenangriff auf eine Kundgebung am Tischrin-Damm (8.1.2025)

Das türkische Militär greift immer wieder Ziele im Gebiet der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien an. Bei einer Friedensmahnwache an der Tischrin-Talsperre hat die Türkei in den vergangenen Wochen 21 ¿Menschen getötet, mehr als 200 verletzt. Auch Sie wurden dort am 18. Januar verletzt und mussten operiert werden. Was passierte dort?

Seit dem 8. Januar gibt es am Staudamm Proteste gegen die Angriffe der von der Türkei unterstützten sogenannten Syrischen Nationalarmee, kurz SNA, auf die Region. Durch Bombardierungen der Türkei im Dezember war er bereits außer Betrieb. Seither ist die Stadt Kobanê ohne Wasser und Strom. Die Luftwaffe des NATO-Mitgliedstaates greift dort auch Autokonvois mit Drohnen und Kampfflugzeugen an. Davon gibt es Videoaufnahmen. Obgleich die aktive Frontlinie etwa acht Kilometer westlich des Staudamms ist, wurde er bombardiert. Während Menschen dort protestierten. Diese wollen den Damm schützen, der die Lebensgrundlage für Millionen Menschen in der Region ist. Ich filmte, um die Auswirkungen der türkischen Aggression zu dokumentieren, als mich eine Explosion traf. Durch Splitter erlitt ich Verletzungen am Gesicht und am linken Bein.

War eine direkte Versorgung möglich?

Wegen meiner Augenverletzung wurde versucht, mich sofort ins Krankenhaus zu fahren. Dann kam die Nachricht des Drohnenangriffs der Türkei auf einen der Rettungswagen des Kurdischen Roten Halbmonds, der zuvor Verwundete vom Staudamm ins Krankenhaus nach Tabqa gebracht hatte. Die Ambulanz brannte komplett aus. Deshalb konnte ich nicht direkt versorgt werden. Ich komme aus dem Gesundheitsbereich: Krankenwagen sind für mich ein Ort, an dem du sicher bist, wo dir geholfen wird. Das paradoxe Gefühl, sich genau an diesem Ort in Lebensgefahr zu fühlen, werde ich niemals vergessen. Das sind Menschenrechts- und Kriegsverbrechen.

Erstmals seit Jahren führte am 19. Januar eine Delegation des Auswärtigen Amtes inklusive Tobias Tunkel, Nahostbeauftragter der Bundesregierung, in Rojava Gespräche mit den Syrischen Demokratischen Kräften, SDK. Deutschland wolle Partner an der Seite der kurdischen Selbstverwaltung sein, um ein »vereintes, inklusives neues Syrien« aufzubauen.

Dazu kann ich nur sagen: Den Worten müssen schnelle Taten folgen. Das Embargo, unter dem die Region leidet, muss aufgehoben und eine Flugverbotszone eingerichtet werden.

Wie schätzen Sie die Lage in Rojava aktuell ein?

Hier soll einer Gesellschaft Lebensgrundlage und Zukunft genommen werden. Die Türkei greift direkt aus der Luft an, am Boden agieren in deren Interesse die SNA-Milizen. Die Menschen hier haben den Krieg gegen den IS miterlebt. Jede Familie hat Kinder in diesem Kampf um Kobanê verloren, der weltweit bekannt wurde. Die gleichen IS-Kämpfer von damals sind heute in den Reihen der SNA. Sie stehen wieder vor Kobanê. Die Bevölkerung weiß: Überqueren die Dschihadisten den Staudamm, ist das das Einfallstor für einen existentiellen Angriff auf die gesamte Selbstverwaltung.

Sind die Angriffe der Türkei brutaler geworden?

Seit zwei Jahren bombardiert die türkische Luftwaffe die kritische Infrastruktur, Trinkwasserversorgung, Weizensilos, Ölproduktion und Elektrizitätswerke. Das Leben hier wird durch fehlende Versorgung mit Strom, Wasser und Benzin beeinträchtigt. Nicht erst seit dem Angriff der SNA am 1. Dezember wird durch türkische Drohnen gemordet. Für mich war es ein Schock, als eine türkische Drohne eine meiner Patientinnen in der physiotherapeutischen Behandlung mitten in Kamischli im Februar 2024 tötete. Sorxwîn Rojhilat war eine der Kommandantinnen der Schlacht um Kobanê. Werden die Bombardierungen der Türkei nicht gestoppt, droht der Staudamm zu brechen – mit katastrophalen Folgen für die gesamte Region bis in den Irak.

Jakob Rihn ist Physiotherapeut aus Brandenburg und unterstützt seit zwei Jahren als humanitärer Helfer das Gesundheitskomitee der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien

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