»Die Regierung schaut seit zehn Jahren weg«
Interview: Tim KrügerSeit Dezember kommt es in der Demokratischen Republik Kongo immer wieder zu Massenprotesten. Was sind die Hintergründe und was fordern die Menschen?
Die Menschen gehen an verschiedenen Orten des Landes auf die Straße. Aber besonders in Goma und Beni im Osten des Landes und in der Hauptstadt Kinshasa dauern die Demonstrationen weiter an. Dabei richten sich die Proteste in Goma sowie in meiner Heimatstadt Beni vor allem gegen die ruandische Besatzung unseres nationalen Territoriums. Die ruandische Armee hat gemeinsam mit ihren »M 23«-Söldnern unser Land überfallen, und wir gehen auf die Straße, um diese Aggression anzuprangern. Auch in Kinshasa haben wir Bürger mobilisiert, um Rechenschaft von der Regierung zu fordern. Unsere bewaffneten Streitkräfte müssen bedingungslos und sofort gegen die Verletzung unserer nationalen Souveränität vorgehen und die Gebiete unter Kontrolle der Rebellen zurückerobern. Doch unsere Regierung schweigt seit Jahren zu den Geschehnissen im Osten des Landes. Unsere Bürger werden von Milizen ermordet, Menschen werden geköpft, aber die Regierung schaut seit zehn Jahren einfach weg.
Wie hat die Regierung auf die Proteste reagiert?
Bei den Demonstrationen waren wir mit brutaler Repression durch die Polizeikräfte konfrontiert. Unsere Genossen, Mitstreiter und Bürger wurden verhaftet, viele ins Gefängnis gesteckt. Die Regierung versucht, die Proteste zu unterdrücken. Auch an unserem zurückliegenden großen Aktionstag am 9. Januar dieses Jahres wurden viele verhaftet. Ein Großteil wurde zwar im Laufe des Tages wieder freigelassen, doch das Vorgehen zeigt, dass sie nicht wollen, dass die kongolesischen Bürger selbst aktiv werden und gegen die Dinge, die in unserem Land falsch laufen, protestieren. Wir fordern nur, was unser gutes Recht ist, und selbst das wird von der Regierung unter Präsident Félix Tshisekedi verboten.
Sie sprachen von Angriffen Ruandas im Osten des Landes. Wie ist die Lage in den umkämpften Provinzen?
Seit Januar 2024 hat sich die Lage massiv verschlechtert. Durch die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und unterschiedlichen Milizen, wie den »M 23«-Rebellen, haben seitdem Hunderte ihr Leben verloren, und Tausende wurden vertrieben. Oft wissen wir nicht einmal über den Verbleib und das Wohlergehen unserer vertriebenen Familienmitglieder Bescheid.
Vor allem in den zwei Provinzen Nordkivu und Ituri ist die Lage sehr ernst. Die Regierung hat hier den Belagerungszustand verhängt. Das heißt, dass das Militär über die Zivilbevölkerung herrscht und die Gebiete regiert. Seitdem der Ausnahmezustand verhängt wurde, haben mehrere unserer Genossen und Bürger ihr Leben verloren. Sie wurden mit Macheten, Messern oder durch Schusswaffen getötet. Die Situation hat sich nicht verbessert. Hier in Beni werden Menschen geköpft, und die kongolesische Regierung lässt das alles zu. Wir protestieren zwar, haben aber mittlerweile die Hoffnung verloren, dass von der Regierung positive Schritte zu erwarten sind.
Worin sehen Sie die Ursachen des Konfliktes?
Der natürliche Ressourcenreichtum unseres Landes ist einer der Hauptgründe für das, was hier passiert. Es gibt viele weitere historische und soziale Ursachen für den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo, doch eine der entscheidenden Triebkräfte hinter den Konflikten sind mit Sicherheit auch wirtschaftliche Interessen. Es sind die Bodenschätze, nach denen alle suchen und die alle Seiten versuchen, unter ihre Kontrolle zu bringen. Wenn Sie die Orte, an denen die »M 23«-Miliz Präsenz zeigt, betrachten, so werden Sie unschwer erkennen, dass es sich vor allem um die Abbaugebiete seltener Erden wie Coltan, das vor allem für die Produktion moderner elektronischer Geräte benötigt wird, und weiterer Edelmetalle handelt.
Der Osten des Landes besitzt eine große wirtschaftliche Bedeutung, und die Milizen rauben die Reichtümer unseres Landes und verkaufen sie in alle Welt – auch auf westlichen Märkten. Besonders deshalb brauchen wir internationale Aufmerksamkeit. Die Welt muss sehen, was hier im Kongo passiert, und die Massenmorde müssen aufhören.
Kabambi Jireh Raphaël ist Sozialist und Aktivist der kongolesischen Bewegung Lucha
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