Massaker an Alawiten
Von Nick BraunsDie bewaffneten Männer seien mit Pick-ups in den Ort eingefallen. Dort hätten sie willkürlich um sich geschossen, auf die Einwohner eingeprügelt, geplündert und religiöse Symbole geschändet. Anschließend seien die Leichen von Dutzenden Männern aus dem Dorf auf Straßen gefunden oder in einem nahe gelegenen Krankenhaus abgeladen worden. So berichteten Bewohner des westlich der Großstadt Homs gelegenen Dorfs Fahel der libanesischen Journalistin Jenan Moussa von einem Massaker an Angehörigen der alawitischen Religionsgemeinschaft in Syrien.
Ähnliche Schilderungen hörte die für den panarabischen Fernsehsender Al Aan tätige Investigativreporterin aus dem nahe Fahel gelegenen Dorf Maryamin. Dort leben Alawiten sowie Anhänger der Murschidija-Sekte – beide Gemeinschaften gelten Islamisten als Abtrünnige vom Islam und damit vogelfrei. Die Angreifer, die schwere Maschinengewehre auf ihre weißen Pick-ups montiert hatten, zwangen die zusammengetriebenen Dorfbewohner, wie Hunde zu bellen, um sie zu erniedrigen. Dann holten sie ein Bild von Suleiman Al-Murschid, dem Gründer der Murschidija, und forderten die Gläubigen auf, darauf herumzutrampeln. Als diese sich weigerten, wurden sie heftiger misshandelt. Ein Dorfbewohner wurde gleich erschossen und zahlreiche weitere verschleppt und Wertgegenstände geraubt.
Die Überfälle ereigneten sich am Donnerstag im ländlichen Umland westlich von Homs. In dieser Region, die ein Flickenteppich von Dörfern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften darstellt, führte die in Damaskus herrschende Dschihadistenallianz HTS gerade »Sicherheitsoperation« gegen frühere Anhänger des Assad-Regimes durch. Betroffen sind vor allem alawitische Dörfer. Da die Familie Assad und wichtige Kader des gestürzten Regimes Alawiten waren, wurde von der syrischen Muslimbruderschaft jahrzehntelang der Hass auf das »alawitische Minderheitenregime« geschürt – auch wenn die Masse der in ländlichen Gebieten lebenden Alawiten eine arme Unterschicht im syrischen Staat gebildet hatte.
Die in Großbritannien ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« gibt die Zahl der Ende vergangener Woche innerhalb von 72 Stunden getöteten Alawiten, Schiiten und Murschidija mit 35 an. 40 verschleppte Personen würden noch vermisst. Beim Großteil der Exekutierten soll es sich um ehemalige Soldaten und Polizisten handeln, die der HTS bereits kurz nach dem Sturz von Assad ihre Waffen abgeliefert und dafür ein Papier mit Sicherheitsgarantien erhalten hatten.
Ein Bewohner aus Maryamin berichtete, zuerst seien zur HTS gehörende Kräfte in den Ort gekommen, diese hätten sich aber respektvoll verhalten. Doch nach deren Abzug seien rund 100 Kämpfer mit weißen Pick-ups ohne Logos in den Ort eingefallen und hätten geplündert. Am Freitag besuchte der Gouverneur von Homs, Abdul Rahman Al-Aama, Maryamin und versicherte, die Angreifer vor Gericht zu bringen. Der HTS-Mann behauptete aber, dass es sich dabei um eine kriminelle Gruppe gehandelt habe, die sich als Sicherheitskräfte ausgegeben habe. Der türkische Journalist Fehim Taştekin sieht hier ein Muster: »Wie bei vielen Razzien kommt die militärische Einsatzleitung zuerst, verhält sich anständig und geht wieder. Dann kommen die Gruppen ohne Logos und bestrafen sie«, so Taştekin am Montag auf der Plattform Gazete Duvar. »Offiziell macht sich die HTS also nicht die Hände schmutzig.«
Am Sonntag begann die HTS eine neue Kampagne in Latakia, dem Kernland der Alawiten an der Mittelmeerküste. Ziel sei es, »den Überresten des Regimes die Fähigkeit zu nehmen, anzugreifen und dann die Flucht zu ergreifen«, erfuhr die englischsprachige arabische Tageszeitung The National von HTS-Kämpfern. Ende vergangener Woche waren zehn HTS-Kämpfer in Latakia nahe der Küstenstadt Jabla aus einem Hinterhalt angegriffen und getötet worden. Es war nicht der erste derartige Vorfall. Möglicherweise bilden sich angesichts der Gewaltakte der Dschihadisten nun aus ehemaligen Offizieren der aufgelösten Syrisch-Arabischen Armee Guerillagruppen zur Verteidigung der bedrohten alawitischen Gemeinschaft heraus.
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Leserbrief von CMF aus Ehemalige Friedensstadt OS (29. Januar 2025 um 11:57 Uhr)Zunächst zum Titelbild: Es ist einerseits grotesk, dass die Burschen sich eines Zwillingsflakgeschützes auf einem offenen Pickup-Verdeck bei Ihrer »Patrouille« bedienen – wofür wird so ein großes Kaliber gebraucht? Ganz davon ab, dass, sofern es Gegenwehr geben sollte, das Fahrzeug herzlich wenig Schutz für die Herren böte. Andererseits ist es natürlich auch eine Machtdemonstration, denn mit welcher Gegenwehr sollten die Mannen schon rechnen? Um es mit den Worten von Scholl-Latour anno 2012 zu sagen: Um eine Revolution zu machen, braucht man Ganoven und Schläger – und als was anderes will man die Burschen bezeichnen? Als nouveau regime steht den Jungs nun nichts mehr im Wege, ihre Doktrinen auszuleben, die wesentlich weiter gehen als Hass auf und Bilderstürmerei wider das Ancien Régime. Theo Padnos, welcher 2012 ein zweijähriges Martyrium als Geisel dieser Mannen überstehen musste, macht sich dahingehend auch keinerlei Illusionen, wie diese sich in einer Position der unangefochtenen Macht geben werden.
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