Erzwungene Wende in Belgrad
Von Lars Lange
Es ist eine fundamentale militärstrategische Wende, die Serbien unter dem starken Druck des Westens vollzieht – und es paradoxerweise näher an China heranzuführen scheint. Schon im April 2022 steuerten zwölf schwere Transportflugzeuge vom Typ Xian Y-20 der chinesischen Luftwaffe das Land an. An Bord: das Luftabwehrsystem FK-3. Dieser Waffendeal gilt als eine der größten chinesischen Militärlieferungen nach Europa. Anfang des Jahres dann meldete das serbische Verteidigungsministerium die vollständige Integration des Systems in die Streitkräfte. Damit ist die serbische Luftwaffe die erste in Europa, die ein chinesisches Luftabwehrsystem mittlerer Reichweite eigenständig betreiben und warten kann.
Die Raketen des Luftabwehrsystems, einer Exportversion des chinesischen HQ-22, erreichen eine Geschwindigkeit von Mach 6, sind also sechsmal so schnell wie die Schallgeschwindigkeit – bei einer Reichweite von 100 Kilometern. Das FK-3 verfügt über mobile Startfahrzeuge mit je vier Flugkörpern sowie eine zentrale Kommandoeinheit mit Radarsystemen und kann sechs Ziele simultan bekämpfen. Das System ist eine abgespeckte Exportversion der chinesischen Basisversion HQ-22, die eine größere Reichweite von 170 Kilometern aufweist. Der Flugabwehrkomplex wurde erstmals 2016 auf der China International Aviation and Aerospace Exhibition der Öffentlichkeit präsentiert. Drei Jahre später nahm die chinesische Luftwaffe das System in den Dienst. Im selben Jahr unterzeichnete Serbien den Kaufvertrag. Die chinesische Volksbefreiungsarmee verfügt über mindestens 130 HQ-22-Systeme. Neben Serbien mit vier FK-3-Batterien hat auch Thailand drei Batterien des Exportmodells erworben.
Das Raketensystem kann mit dem »Patriot«-System der USA oder dem russischen S-300 verglichen werden. Es hat zwar eine geringere Reichweite als S-300-Varianten wie das S-300 PMU-2, soll aber über bessere elektronische Gegenmaßnahmen und bessere Fähigkeiten gegen Tarnkappenziele im Nahbereich verfügen. Die geopolitische Realität zwingt das EU-Kandidatenland, seine traditionell enge militärische Zusammenarbeit mit Russland aufzugeben. Die NATO-Mitglieder, die Serbien umgeben, erlauben weder diplomatische Flüge noch Militärtransporte aus Russland.
Diese erzwungene Neuausrichtung zeigt sich deutlich im Bereich der Luftwaffe: Im August 2023 verzichtete Belgrad auf den geplanten Kauf einer neuen Serie russischer Kampfjets. Statt dessen unterzeichnete das Land einen 2,7-Milliarden-Euro-Vertrag über die Lieferung von zwölf französischen »Rafale«-Kampfflugzeugen, die die alternde Flotte russischer MiG-29 ersetzen sollen.
General Milan Mojsilović, Chef des serbischen Generalstabs, bestätigte Anfang 2024 gegenüber der Moscow Times die weitreichenden Konsequenzen der westlichen Sanktionspolitik. Mehrere Waffendeals mit Russland mussten gestoppt werden, weitere Vereinbarungen sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch die bisher praktizierte Methode, russische Waffen über Lizenzproduktionen in Drittländern zu beziehen, sei aufgrund der verschärften internationalen Sanktionen nicht mehr durchführbar. Und: Trotz offizieller Neutralitätspolitik im Ukraine-Konflikt liefert Serbien inzwischen über Drittländer Munition im Wert von etwa 800 Millionen Euro an die Ukraine.
Der westliche Druck erstreckt sich auch auf die Wirtschaftsbeziehungen. Der bilaterale Handel zwischen Serbien und Russland, der 2022 noch einen Umfang von 4,28 Milliarden US-Dollar erreichte, verzeichnet seit 2023 einen deutlichen Einbruch. Auch ist Serbien gezwungen, seine Gasversorgung durch Lieferungen aus der Region des Kaspischen Meers und LNG-Importe über Griechenland zu diversifizieren. Zudem arbeitet das Land unter westlichem Einfluss daran, den russischen Mehrheitsanteil am nationalen Ölkonzern NIS zu reduzieren. Allerdings verhandelt Serbien zur Zeit aktiv über eine Verlängerung eines derzeitigen Gasliefervertrags mit Gasprom, der im März ausläuft.
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