»Wir brauchen eine politische Lösung«
Von Frederic SchnattererSeit mittlerweile fast drei Wochen kommt es im Catatumbo zu Kämpfen zwischen den bewaffneten Gruppen ELN und Frente 33. Was ist der Hintergrund?
Aufständische Gruppen wie die ELN oder auch die FARC-Guerilla sind hier seit mehr als 50 Jahren aktiv. Der Catatumbo wurde von allen bisherigen Regierungen Kolumbiens vergessen. Die Folge davon sind Rückständigkeit und Misere. Darin liegt der Grund dafür, dass aufständische Gruppen hier Unterstützung genossen haben – so weit, dass sie teilweise als die legitime Autorität wahrgenommen werden. Sie nehmen teilweise die Funktion des nicht anwesenden Staates ein und stellen die Regeln für das Zusammenleben auf.
Aber warum ist die Gewalt gerade jetzt eskaliert?
Eigentlich befand sich die ELN-Guerilla mitten in Friedensverhandlungen mit der Regierung von Präsident Gustavo Petro. Diese waren allerdings bereits seit Monaten unterbrochen, ebenso wie die bilaterale Waffenruhe. Der Frente 33 indes führt weiter Gespräche mit der Regierung, seine Waffenruhe ist weiter in Kraft. Wir haben seit langem davor gewarnt, dass diese Situation die Lage eskalieren lassen könnte, aber wir wurden ignoriert.
Welche Interessen verfolgen die bewaffneten Gruppen?
Der Catatumbo ist eine strategisch bedeutende Region. Vier seiner Gemeindebezirke grenzen direkt an die Bolivarische Schwesterrepublik Venezuela, außerdem erreicht man von hier aus die kolumbianische Karibikregion ebenso wie das Inland. Der Catatumbo ist sehr fruchtbar und rohstoffreich. Hier gibt es viele Minerale und andere Rohstoffe wie Erdöl, Kohle, Uran, Goldsulfat, Koltan. Hinzu kommt, dass viele Bauern heute Koka anpflanzen, weil sie schlicht keine Alternative haben. Den Akteuren geht es darum, mitzuverdienen.
Welche Rolle spielt Venezuela in der derzeitigen Situation?
Venezuela hat in den Friedensverhandlungen zwischen kolumbianischen Regierungen und verschiedenen aufständischen Gruppen stets als Garantiemacht gewirkt – übrigens ebenso wie Kuba oder Mexiko. Letztlich hängt der Frieden in Kolumbien auch davon ab, ob in Venezuela Frieden herrscht. Angesichts der mehr als 2.200 Kilometer langen gemeinsamen Grenze kann das gar nicht anders sein.
Die Regierung Petro reagierte auf die Gewalt mit einer Verstärkung der Truppenpräsenz in der Region. So sollen die bewaffneten Gruppen geschwächt und die staatliche Kontrolle über den Catatumbo gestärkt werden.
Wir glauben nicht, dass die Militarisierung die Lage verbessern wird. Ganz im Gegenteil: Ein weiterer bewaffneter Akteur wird nur zu mehr Menschenrechtsverletzungen führen. Die Regierung irrt, wenn sie denkt, sie könne die Kontrolle über den Catatumbo mit dem Einsatz von Kugeln gewinnen. Dafür müsste sie Ressourcen einsetzen, die Entwicklung der Region ankurbeln, in Bildung, Gesundheit, einfache Kredite, Wohninfrastruktur und öffentliche Dienste investieren. Der Catatumbo ist für seine Tradition sozialer und gewerkschaftlicher Organisierung bekannt. Statt jedoch auf deren legitime Forderungen einzugehen, hat der kolumbianische Staat stets mit Repression reagiert.
Welcher Ansatz wäre dann der richtige?
Wir brauchen eine politische Lösung. Die Regierung muss verstehen, dass sie es bei der ELN mit einer Organisation zu tun hat, die sich seit mehr als 60 Jahren im Krieg befindet. Es scheint, als habe der Präsident gedacht, er könne mit der ELN im Rekordtempo über Frieden verhandeln und den Konflikt innerhalb weniger Monate beilegen. Die ELN hat allerdings immer betont, sie werde sich nicht einfach ergeben und ihre Waffen nicht einfach so abgeben. Außerdem müsse ein Friedensabkommen von wahren sozialen Veränderungen begleitet sein.
Enrique Pertuz ist Menschenrechtsverteidiger, Vorsitzender des Exekutivkomitees des Friedensrates des Departamento de Norte de Santander und Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Corporeddeh
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