Angst vor politischer Sintflut
Von Niki Uhlmann
Auch die Gewerkschafter der IG Metall (IGM) Küste sind im Wahlkampf. Auf ihrer Jahrespressekonferenz am Mittwoch bilanzierten sie nicht nur das Vorjahr und verhandelten über die Rettung der weiter kriselnden Wirtschaft, sondern auch die leidigen Debatten um Migration und die Zerschlagung des Sozialstaats wurden aufgegriffen. Krieg und Rüstungsproduktion spielten nur eine Nebenrolle.
Die guten Nachrichten zuerst. Die Mitgliederentwicklung habe sich vom »Coronatief« erholt und stabilisiere sich, verlautbarte IGM-Bezirksleiter Daniel Friedrich. Eine älter werdende Bevölkerung in der BRD bedeute zwar einen Mitgliederschwund, die Zahl beschäftigter Mitglieder sei 2024 aber um rund ein Prozent auf 124.801 gestiegen. Der Zuwachs unter Azubis zeige, dass die IGM Zukunft habe, der Zuwachs unter jenen ohne deutschen Pass, dass das Übersetzen von Flugblättern Früchte trage. Mit 14 Betrieben – darunter der Stammsitz des Windkraftkonzerns Nordex in Rostock – habe die IGM 3.800 Beschäftigte in Tarifbindung gehievt. Nicht zuletzt könne der gemeinsam mit der IGM Bayern erstreikte Pilotabschluss in der Metall- und Elektroindustrie zukünftig als Blaupause verwendet werden, wenn es mal wieder etwas mehr Nachdruck brauche.
Noch bevor es um politische Forderungen ging, richtete Friedrich allgemeine Worte an die Wahlkämpfer. Die »demokratische Mitte« müsse »konsensfähig« bleiben. Würden »Feinde« aus »Rivalen«, freue »sich nur die AfD«. Unter Gewerkschaften scheint sich die Angst breitzumachen, bald einer feindlich gesinnten, rechten Regierung gegenüberzustehen. Schon jetzt jage die Migrationsdebatte vielen der zu einem Viertel migrantischen Mitglieder einen Schrecken ein. »Ohne die Kollegen mit Migrationshintergrund ist dieser Staat nicht machbar.« Wer hier seinen Job erledige, müsse gut bezahlt und samt Familie anerkannt werden. Dennoch dürften »richtige Themen in der Asylpolitik« nicht vernachlässigt werden, so Friedrich.
Der IGM ginge es indes im wesentlichen um drei Forderungen. Erstens müsse ein »wettbewerbsfähiger Energiepreis« her. Der Staat solle das Netzentgelt übernehmen, das Netz ausbauen. Grüne Energie dürfe nicht länger als »Übergangstechnologie« behandelt werden, müsse statt dessen schleunigst ausgebaut werden. Um allein Windkraft zu ersetzen, bräuchte es 14 Atomkraftwerke. Zweitens müsse mehr investiert werden, privat durch Abschaffung von Hürden und staatlich durch eine Abschaffung der Schuldenbremse. Glaube Europa weiterhin, »der Markt regelt das schon«, werde es zwischen den USA und China »zerrieben«. Drittens seien die sozialen Systeme der BRD zu schützen. Wer Angst habe, seinen Lebensstandard zu verlieren, ginge Veränderungen nicht an. Transformation wäre unmöglich. »Starke Wirtschaft und starkes Sozialsystem bedürfen einander.«
Mit Blick auf einzelne Betriebe wurde dann klar, dass die IGM ihren widersprüchlichen Drahtseilakt fortsetzen wird: einerseits der »zugespitzten Wirtschaftssituation Rechnung tragen«, wie Friedrich es nannte, andererseits optimale Tarifergebnisse erstreiken. Die Wettbewerbsfähigkeit bei Volkswagen in Emden mache die IGM genauso zu ihrer Aufgabe wie die Umstrukturierung der ehemaligen Windhorst-Werften. Bei Airbus sei die Outsourcing-Debatte im Norden dank Eingliederung in den Mutterkonzern vorerst vom Tisch. Nur hinge der Standort Bremen, wo das Militärflugzeug »A400M« gefertigt wird, von Aufträgen aus dem Ausland ab. Nicht alle Beschäftigten hätten ein »Rückkehrrecht« in die zivile Sparte. Insgesamt sei der Norden »eher Gewinner der Transformation«. Treiber dessen ist auch die sogenannte Zeitenwende, die zumindest bei Thyssen-Krupp Marine Systems die Auftragsbücher füllt. »Den Blick dafür, dass wir am Ende des Tages eigentlich keine Kriegsschiffe brauchen, dürfen wir nicht verlieren«, sagte Friedrich auf Nachfrage der jW. Taten würden allerdings mehr sagen als Blicke und Worte. Für den 15. März ist ein Aktionstag in Hannover geplant. Von Frieden liest man dort nichts.
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