Links & bündig: Jetzt bestellen!
Gegründet 1947 Donnerstag, 6. Februar 2025, Nr. 31
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Links & bündig: Jetzt bestellen! Links & bündig: Jetzt bestellen!
Links & bündig: Jetzt bestellen!
Aus: Ausgabe vom 06.02.2025, Seite 8 / Inland
Migrationspolitik

»Kinder brauchen eine sichere Perspektive«

Junge Geflüchtete werden oft von Bildung ausgeschlossen. Ein Gespräch mit Jibran Khalil
Interview: Gitta Düperthal
imago583870209.jpg
Demonstration gegen Abschiebungen in Potsdam (20.6.2024)

Anlässlich der Bundestagswahl am 23. Februar haben Sie ein Papier mit migrationspolitischen Forderungen herausgegeben. Welchen Bedingungen sind geflüchtete Minderjährige in Deutschland im Asylsystem ausgesetzt?

Der Staat, der ihnen hier Schutz gewähren sollte, sorgt nicht dafür, dass sie vom ersten Tag an in die Schule gehen können. In Berlin gibt es erst mal keinen Schulplatz. Wir fordern, dass Kinder und Jugendliche, wenn sie nach ihrer Flucht in Deutschland ankommen, sofort Zugang zu Bildung erhalten. Ein weiteres Anliegen ist: Kinder, die oft von schlimmen Erlebnissen im Herkunftsland traumatisiert sind, müssen zur Ruhe kommen können. Sie brauchen eine sichere Perspektive, also Bleiberecht. Viele haben in Deutschland nur den Status der »Duldung«; müssen sich ängstigen, dass die Polizei sie mitten in der Nacht abholt, um sie abzuschieben. In Einrichtungen für Geflüchtete müssen viele mit anschauen, wie so etwas anderen Familien mit Kindern widerfährt. Deutschland muss sich an die UN-Kinderrechtskonvention halten.

Bekannt ist die Organisation »Jugendliche ohne Grenzen«, weil sie jährlich den »Negativpreis Abschiebeminister*in« verleiht. 2024 erhielt ihn die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Ist das ein Ventil, damit junge Geflüchtete die Wut mal an der richtigen Stelle abladen können?

Tatsache ist: Sie reden nur über uns, aber nicht mit uns. Weil wir das ändern wollen, haben wir lange gekämpft, um einen Termin zu bekommen, damit wir der Berliner Senatorin den Negativpreis überreichen können. Stellvertretend nahm ihr Staatssekretär Christian Hochgrebe den Preis am 15. Januar entgegen. Spranger erhielt den Preis, weil Berlin 2023 mehr Menschen abgeschoben hat als in den Vorjahren, auch Roma nach Moldawien, die dort massiver Diskriminierung ausgesetzt sind. Gerade Deutschland sollte das nicht tun, da in der Nazizeit viele Roma und Sinti umgebracht wurden. Spranger befürwortet zudem Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien.

Warum war Ihnen die persönliche Übergabe wichtig?

Wir sprachen mit Hochgrebe über Abschiebung, Bleiberecht, Recht auf Bildung, das Leben in Sammelunterkünften. Das Bundesaufnahmeprogramm sowie das Berliner Landesaufnahmeprogramm für Afghanen waren ebenfalls Thema. Wir wollen künftig auch konkrete Fälle mit politisch Zuständigen diskutieren, wenn junge Geflüchtete nicht in die Ausbildung oder zur Schule gehen können oder lange auf Bleiberecht warten müssen. Dieses Jahr werden wir wieder bei unserer Parallelveranstaltung zur Innenministerkonferenz in Bremen einen Abschiebeminister küren.

Aktuell werden Verschlechterungen und Gesetzesverschärfungen debattiert, angeblich um die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. Was bedeutet das für junge Geflüchtete?

Im Bundestagswahlkampf müssen wir erleben, dass die CDU, statt über die Wirtschaftskrise und die Inflation zu diskutieren, wieder mal Geflüchtete zu Sündenböcken erklärt. Mit christlichen Werten und Nächstenliebe hat das nichts zu tun. Wir werden pauschal verurteilt für die Tat von Kriminellen, müssen Vorurteile über uns ergehen lassen, Hetze von rechten Parteien und Angriffe auf der Straße gegen uns. Deutschland stellt sich auf einen hohen Sockel, debattiert über Verstöße gegen Menschenrechte in Saudi-Arabien oder im Kongo. Man sollte die Menschenrechte auch hier einhalten.

Geht es in der aktuellen Diskussion vielleicht um etwas anderes als überforderte Kommunen?

Ich glaube, der Kolonialismus mit seinem Rassismus und menschenverachtenden Umgang wirkt nach. Seit den 1990er Jahren heißt es: »Das Boot ist voll«. Dabei ist Deutschland ein reiches Land und hat Verantwortung, zur Flucht gezwungene Menschen aufzunehmen. Die deutsche Industrie liefert Waffen, ist an Kriegen in der Welt direkt beteiligt. Vor diesen Kriegen müssen viele Menschen fliehen. Wenn es nicht genug Sozialwohnungen, Schul- und Kitaplätze gibt, ist das nicht die Schuld von Geflüchteten, sondern von Regierenden, die all das kaputtsparen.

Jibran Khalil ist aktiv bei »Jugendliche ohne Grenzen« (JoG) und Vorstandsmitglied beim Flüchtlingsrat Brandenburg

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Inland