Offensive aus der »Mitte«
Von Kristian Stemmler
Knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl sorgt das Thema Migration jetzt auch intern bei Bündnis 90/Die Grünen für heftigen Streit. Mit scharfer Kritik reagierte am Mittwoch die Grüne Jugend auf die »Sicherheitsoffensive« des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck, die er am Montag in Form eines »Zehnpunktepapiers« präsentiert hatte. Sie kann als Signal an die Union mit Blick auf eine »schwarz-grüne« Koalition nach der Wahl verstanden werden. Der Parteinachwuchs legte einen eigenen »Zehnpunkteplan« vor, in dem er sich von Habecks Vorschlägen distanziert. »Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar«, heißt es darin etwa.
Pünktlich zum CDU-Bundesparteitag hatte Habeck am Montag via Bild einen Plan lanciert, in dem er sich unter anderem für mehr Abschiebungen stark macht. »Nichtdeutsche Gefährder und Schwerkriminelle« müssten »konsequent« abgeschoben werden, heißt es in dem »Zehnpunkteplan« des grünen Kanzlerkandidaten. Mit Blick auf offene Haftbefehle fordert er zudem eine »Vollstreckungsoffensive mit Schwerpunkt auf Islamisten und anderen Extremisten«. Auch sonst sucht Habeck die Nähe der Union: Am Dienstag abend schlug er im ZDF vor, dass Grüne, CDU/CSU und SPD vor der Bundestagswahl »ein Signal« aussenden, dass es »einen stabilen demokratischen Konsens der Mitte« gibt.
In ihrem Papier mit dem Titel »Humanität durch Sozialstaat« widerspricht die Grüne Jugend dem migrationspolitischen Vorstoß des Vizekanzlers vehement, ohne ihn namentlich zu nennen. »Die Beteiligung an rassistischen Debatten, der Rückbau von Infrastruktur und die pauschale Verurteilung Geflüchteter waren und bleiben Fehler«, heißt es darin laut dpa. Der Parteinachwuchs fordert eine Stärkung des Sozialstaats und Prävention statt verstärkter Repression gegen Geflüchtete. So müsse eine Radikalisierung junger Männer »unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft« bekämpft werden.
Die Sprecherin der Grünen Jugend Jette Nietzard erklärte, wer an Integration und Humanität interessiert sei, »investiert in den Sozialstaat und beschließt keine rassistischen Anträge mit den Nazis im Bundestag«. Sie sei es leid, »dass einige Teile der Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt werden«. Die Grüne Jugend Niedersachsen hatte Habeck bereits zuvor »eine menschenfeindliche Abschiebepolitik« vorgeworfen, die sich an rechten Narrativen orientiere.
Die FDP sucht die Schuld für die fehlende Mehrheit bei der Abstimmung über das »Zustrombegrenzungsgesetz« am Freitag derweil weiter bei SPD und Grünen. Er bedauere, »dass offenbar nur die Unionsfraktion bereit ist, in der kommenden Woche noch vor der Wahl eine echte Migrationswende mit der FDP voranzubringen«, erklärte Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, gegenüber dpa.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte in einem Schreiben an die Amtskollegen von Union, SPD und Grünen angeregt, das »Zustrombegrenzungsgesetz« in einen von SPD und Grünen vorgelegten Gesetzentwurf für eine Umsetzung der Reform des »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« (GEAS) in deutsches Recht zu überführen und am letzten Sitzungstag, dem 11. Februar, gemeinsam zu beschließen. Von den Grünen holte sich die FDP eine Abfuhr: Man könne in dem Vorstoß »kein ernsthaftes Gesprächsangebot erkennen«, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Irene Mihalic.
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken-Gruppe, kritisierte in einer Mitteilung vom Dienstag einen »rassistischen Überbietungswettbewerb«. Mit immer neuen Plänen werde versucht, »das herbeigeredete Problem der Migration« zu bearbeiten. Während die Union unbeirrt Pushbacks an deutschen Grenzen fordere, wollten die Grünen »›nichtdeutsche Gefährder‹ schonungslos abschieben«. Die FDP verlange einen »Migrationspakt der Mitte«, meine aber eigentlich die Abschaffung des Rechts auf Familiennachzug und die schnelle Umsetzung der Verschärfung des europäischen Asylsystems. »Damit betreiben diese Parteien unverändert genau jene Politik, von der seit Monaten allein die AfD profitiert – auf dem Rücken von Geflüchteten und ohne irgendein reales Problem zu lösen«, so Bünger.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. Februar 2025 um 22:17 Uhr)Ich mache mir Gedanken darüber, wohin man deutsche Gefährder abschieben könnte. Aus Eingenschutzgründen behalte ich die entsprechende Definition und eine daraus resultierende Liste von Gefährdern für mich.
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