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Aus: Ausgabe vom 06.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Bildende Kunst

Verschachtelte Räume

Eine Ausstellung des Malers David Schnell im Mies-van-der-Rohe-Haus in Berlin
Von Matthias Reichelt
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Malerei von David Schnell in angemessener Umgebung: Stadt, Wohnen und Natur

Ein Kleinod der Architektur der Moderne ist das von Mies van der Rohe entworfene L-förmige Haus Lemke in Niederschönhausen, das eine wechselhafte Geschichte hat. Mies van der Rohe war 1930 zum neuen Direktor des Bauhauses in Dessau berufen worden und wurde vom Ehepaar Karl und Martha Lemke mit dem Entwurf des Bungalows beauftragt, der im April 1933 nach Fertigstellung von dem Druckereibesitzer und seiner Ehefrau bezogen und bis zum 10. Oktober 1945 bewohnt wurde. Das Gebäude wie auch andere Häuser in der Nachbarschaft hatte den Krieg unbeschadet überstanden. Die Lemkes mussten ihr Haus verlassen, da dieser Stadtteil um den Obersee ein paar Monate nach der Befreiung vom Faschismus von der Roten Armee zum Sperrgebiet deklariert wurde. Das Gebäude selbst wurde requiriert und zur Garage umfunktioniert. Die Lemkes erhielten eine Wohnung zugewiesen, die sie bis 1951 bewohnten.

Als den Druckereibesitzern die Gewerbegenehmigung entzogen wurde, zogen sie nach Westberlin. Das Haus wurde von der Roten Armee an die DDR-Staatssicherheit übergeben, die das Gebäude in diversen Funktionen nutzte. 1963 bezog der Bauingenieur und Oberstleutnant der Staatssicherheit Ernst Peuker das Haus und kannte dessen Geschichte. »Natürlich wusste ich, dass das Haus von Mies van der Rohe war, denn vom Bauhaus hatte ich schon drüben in der Tschechoslowakei erfahren«, wird er von der Leiterin des Hauses, Wita Noack, in ihrem Buch »Mies van der Rohe – Schlicht und ergreifend: Landhaus Lemke 1932/33« zitiert.

Am 21. September 1977 wurde das Gebäude durch den Magistrat von Berlin auf die Bezirksdenkmalliste gesetzt, dennoch diente es der Staatssicherheit bis 1989 unter anderem als Wäschelager für die umliegenden Gästehäuser und Kantine für die Mitarbeiter. 1990 wurde von der Bezirksverordnetenversammlung in Hohenschönhausen der Weg zu einer kulturellen Nutzung mit Ausstellungen geebnet. Die ganze Geschichte aufgearbeitet und die historisch getreue Rekonstruktion des Gebäudes in den Jahren 2000 bis 2002 auf den Weg gebracht zu haben, ist das große Verdienst der oben erwähnten Wita ­Noack, die ihre Dissertation der Geschichte des Hauses widmete und dafür in vielen Archiven forschte, unter anderem auch in den USA. Ab 1992 übernahm sie die Leitung des Hauses Lemke und machte es zu einem Ort von Wechselausstellungen mit zeitgenössischer Kunst. Parallel wurde auch ein Verein »Freunde des Landhaus Lemke e. V.« gegründet, um Gelder bei Stiftungen für Rückbau und auch zukünftiges Programm beantragen zu können. 1999 schlossen sich auch noch Förderer an.

Ziemlich am Anfang der Ausstellungen stand 1993 eine Präsentation mit Dokumenten und Graphiken von Max Bill. 1994 folgte Horst Bartnig, der mit Computergraphik arbeitete, sowie 1995 eine Ausstellung mit dem in Deutschland lebenden brasilianischen Konkrete-Kunst- und Op-Art-Vertreter Almir Mavignier. Bis heute finden bis zu vier Ausstellungen jährlich statt, oftmals unter einem thematischen Fokus. Gerade diese Wechselausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler ziehen immer wieder neues und auch junges Publikum an und wecken so auch Interesse an dem architektonischen Kleinod. Bis Mitte April sind nun Werke des 1971 in Bergisch Gladbach geborenen Malers David Schnell zu sehen, der sein Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst als Meisterschüler von Arno Rink abschloss und neben u. a. Matthias Weischer zur »Leipziger Schule« gezählt wird.

Die meisten seiner nun im Haus Lemke ausgestellten Gemälde sind 2024 entstanden und zeigen architektonische Räume mit Kuben, über- und nebeneinander geschachtelt, schräg versetzt zu fast undurchschaubaren Labyrinthen komponiert, bis in die Tiefe des dreidimensional erscheinenden Bildraumes hinein. Und dennoch blitzen in dem mit unzähligen Schattierungen und Nuancierungen nur weniger Farben gemalten Chaos aus Kuben hier und dort andere Formen auf. Mal ist es eine Kirchturmspitze, mal die Öffnung der großstädtischen Szenerie hin zu Landschaft und Horizont. In diesem Sinne passen Schnells Werke sehr gut in das Haus Lemke, das sich immer wieder hin zur umgebenden Landschaft öffnet und Auseinandersetzungen über Stadt, Wohnen und Natur und deren Verdrängung bis hin zur sozialen Problematik der Gentrifizierung evoziert.

Auf dem Gemälde mit dem profanen Titel »Ausstellung« hat Schnell dem Haus Lemke eine direkte Hommage erwiesen und setzt das erkennbare Antlitz des Gebäudes in seine Quaderlandschaft, über der sich der Himmel wie aus verschiedenfarbigen Puzzleteilen zusammenfügt. Aus dem Rahmen der Quaderlandschaften fällt einzig das Gemälde »Best wishes« mit einer dunkelblauen Palmenszenerie bei Nacht, das die Besucher als Solitär in der Diele des Gebäudes empfängt.

David Schnell: »Clear Velvet«, miesvanderrohehaus.de, bis 13.4.2025

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