Ein, zwei, viele Pole
Von Philip Tassev![imago801041231.jpg](/img/450/205326.jpg)
Ist unsere Welt bereits multipolar, oder bewegt sie sich in diese Richtung? Bleiben die USA vorerst die einzige globale Supermacht? Oder herrscht ein neuer Kalter Krieg zwischen zwei »Polen«, den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China? Mulit-, uni-, bi- oder gar unpolar: Das sind die Leitfragen, die auf der am kommenden Wochenende stattfindenden 61. »Münchner Sicherheitskonferenz« (Siko) von Politikern, Diplomaten, Militärs und NGO-Funktionären diskutiert werden sollen.
Am Montag hat der Vorsitzende der Siko, Christoph Heusgen, CDU-Mitglied und einst deutscher UN-Botschafter, in Berlin den »Munich Security Report« vorgestellt. Dieser wird jährlich vor der Konferenz veröffentlicht. Mit dem Schwerpunkt auf einer Anzahl von Mächten, die oft als potentielle »Pole« einer entstehenden multipolaren Ordnung betrachtet werden, skizziert der Bericht die Debatte innerhalb der herrschenden Klassen der jeweiligen Staaten über die Frage, wie eine künftige Weltordnung aussehen sollte. Als Großmächte werden die USA, China, Russland, Großbritannien, die EU als Ganzes, Japan, Indien, Brasilien und Südafrika aufgelistet.
Während das gegenwärtige internationale System »Elemente von Unipolarität, Bipolarität, Multipolarität und Nichtpolarität« aufweise, sei eine anhaltende Machtverschiebung hin zu einer größeren Anzahl von konkurrierenden Staaten »deutlich zu erkennen«, konstatiert der Report. Diese Tendenz zur Multipolarisierung zeige sich nicht nur auf materieller Ebene, sondern auch in einer ideologischen Polarisierung.
Der Liberalismus, der die Zeit nach dem Kalten Krieg geprägt habe, sei nicht mehr unangefochten, sondern werde inzwischen auch »von innen« herausgefordert. Dies zeige sich einerseits im innenpolitischen Aufstieg eines »nationalistischen Populismus«, andererseits außenpolitisch in einer wachsenden ideologischen Spaltung zwischen »demokratischen« und »autokratischen« Mächten sowie in der Entstehung mehrerer parallel existierender und miteinander konkurrierender »Ordnungsmodelle«.
Die Wortwahl des Berichts zeigt bereits, dass die Autoren eher dem liberalen Spektrum zuzuordnen sind. Dementsprechend kommt die neue Regierung von US-Präsident Donald Trump in dem Bericht nicht gut weg. Die Konzentration auf China als neuem Hauptgegner könne dazu führen, dass die USA ihre Rolle als Europas »Sicherheitsgarant« aufgeben. Das hätte enorme Konsequenzen für die NATO, und es drohe angesichts der nur schleppend vorankommenden Aufrüstung der EU die Entstehung eines »Sicherheitsvakuums«, das »Europa« einer »russischen Aggression« ausliefern würde.
Auch für die Ukraine hätte ein Herunterfahren der Unterstützung aus Washington gravierende Auswirkungen. Heusgen erklärte am Montag im diplomatisch-unverbindlichen Ton, er hoffe, dass die »Sicherheitskonferenz« als Plattform genutzt werde, »um im Hinblick auf einen Frieden in der Ukraine Fortschritte zu machen«. Er sei sich sicher, dass auf der Konferenz »Konturen« eines »Friedensplans« erstellt werden. Ob ein solcher Plan am Ende tatsächlich vorgelegt wird, ließ er offen. Da kein Vertreter der russischen Regierung nach München eingeladen wurde, ist es zweifelhaft, ob die westlichen Vertreter überhaupt eine realistische Lösung präsentieren können. Die angekündigte Teilnahme von prominenten russischen »Oppositionellen« dürfte in Moskau als zusätzliche Provokation aufgefasst werden.
Insgesamt werden am Wochenende rund 60 Staats- und Regierungschefs und etwa 150 Minister im Hotel »Bayerischer Hof« in der Münchner Altstadt erwartet. Unter anderem sollen der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, US-Vizepräsident J. D. Vance, der US-Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, und Chinas höchster Diplomat Wang Yi teilnehmen.
Das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz mobilisiert für Sonnabend zu einer Demonstration unter dem Motto »Friedensfähig statt kriegstüchtig«. Des weiteren wird als Gegenveranstaltung zur Siko die Münchner Friedenskonferenz stattfinden, auf der unter anderem Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für das besetzte Palästina, auftreten wird.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz K. aus München (11. Februar 2025 um 10:21 Uhr)Was die Aussichten auf einen »Friedensplan« betrifft, bin ich sehr skeptisch. Schließlich treffen sich bei der Siko vor allem Kriegsprofiteure, die keinerlei Interesse an Frieden, sondern vielmehr an möglichst lang dauernden vielfältigen Kriegen haben, um weitere Milliarden zu verdienen. Sollte es überhaupt einen solchen »Plan« geben, dürfte er dem »Siegesplan« unseligen Angedenkens zum Verwechseln ähnlich sehen. Vielleicht benutzt der unvermeidliche Herr S. aus dem 404 Staat (vulgo Ukraine) ja auch die Gelegenheit, wieder Atomwaffen zu fordern – unter großem Beifall aller Teilnehmer wie 2022, kurz darauf folgte der »unprovozierte« Einmarsch Russlands …
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