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Aus: Ausgabe vom 12.02.2025, Seite 2 / Inland
Politische Justiz

»Schreibzeug wird einem abgenommen«

Solidarität mit Palästina vor Gericht: Prozessbeobachter dokumentieren Schikane. Ein Gespräch mit Hannah Rainer
Interview: Annuschka Eckhardt
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Sie sind regelmäßig bei Verfahren mit Palästina-Bezug in Berliner Gerichten als Prozessbeobachterin anwesend. Was bemerken Sie dort?

Insgesamt haben wir mit unserer solidarischen Prozessbeobachtungsgruppe seit Juni 2024 schon über 40 Gerichtsprozesse beobachtet und protokolliert, die in bezug stehen zur Kriminalisierung von mit Palästina solidarischen Personen. Wir dokumentieren verschiedene Verfahren, sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht Berlin. Häufig geht es um Tatvorwürfe, die Demonstrationsgeschehen betreffen und auch um die Besetzungen an der Freien und der Humboldt-Universität.

Wegen welcher »Vergehen« werden die Menschen angeklagt?

Häufig ist es Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, häufig geht es auch um für verboten gehaltene Äußerungen. Letzteres betrifft vor allem die Parole »From the River to the Sea«. Bei den Besetzungen an den Universitäten steht hauptsächlich Hausfriedensbruch im Strafbefehl. Das sind zum Teil Vorwürfe, die einfach fallengelassen werden könnten von den Unipräsidien, doch diese wollen wohl ein Exempel an ihren Studierenden statuieren. Bei Widerstandsvorwürfen stellt sich erstaunlich oft heraus – wenn ein Videobeweis von der Verteidigung zur Verfügung gestellt wird –, dass der Tatvorwurf sich nicht bestätigt, wie er in der Anklage vorgebracht wurde. Viel häufiger ist es so, dass der Angeklagte selbst zum Opfer von Polizeigewalt geworden ist. Wenn nicht Leute wie wir uns mehrmals pro Woche in diese Gerichte setzen würden, um das zu beobachten und transparent zu machen, würde kaum auffallen, wie sehr hier kriminalisiert wird.

Warum gibt es so wenig Berichterstattung über diese Prozesse?

Israel begeht mit BRD-Unterstützung und deutschen Waffen einen Genozid in Gaza. Vor deutschen Gerichten stehen aber eben nicht diejenigen, die verantwortlich sind für die Verstrickung in diesen Genozid. Statt dessen werden Menschen kriminalisiert, die das kritisieren und sich dagegenstellen. Darüber gibt es in der bürgerlichen Presse allerdings wenig Berichterstattung, weil das der »Staatsräson« zuwider läuft.

Was erhoffen Sie sich von der solidarischen Prozessbegleitung?

Uns wird zum Teil von der Verteidigung gespiegelt, dass Richter und Staatsanwälte ein bisschen disziplinierter sind, wenn Publikum hinten im Saal sitzt. Es geht also zum einen um etwas mehr Transparenz und demokratische Kontrolle im Gericht. Zum anderen: Wir wollen Solidarität zeigen und die Angeklagten nicht alleine lassen. Ansonsten wären sie häufig völlig alleine der Staatsgewalt ausgeliefert. Ich habe Sozialarbeiterinnen erlebt, Leute, die nicht vorbestraft waren, denen nach einem harmlosen Demobesuch ein Tatvorwurf gemacht wird, der kaum erhärtet werden kann – und dann haben sie plötzlich 100 Tagessätze am Hals. Das ist eine Vorstrafe, und sie können deshalb ihren Job verlieren. Mal völlig abgesehen von aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, die die Angeklagten treffen können in Folge einer Verurteilung.

Die Schlangen für Besucher an den Sicherheitskontrollen sind extrem lang. Viele warten über eine Stunde auf Einlass. Welchen Schikanen begegnen Sie?

Trotz geringen Tatvorwürfen wie Hausfriedensbruch oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte werden die sogenannten Sicherheitssäle im Gericht für die Verhandlungen genutzt, die man sonst eher aus Prozessen um Morde im Rockermilieu kennt. Im Sicherheitstrakt gelten für Zuschauer besonders strenge Regeln: Nicht nur das Gepäck wird durchsucht, sondern auch der Körper abgetastet. Personalausweise werden kopiert. Man muss seine Schuhe ausziehen, dann wieder anziehen. Mitgebrachtes Schreibzeug für handschriftliche Notizen wird einem abgenommen. Es liegt dann in der Macht der Justizbeamten, ob sie uns als Vertretern der Öffentlichkeit zumindest Zettel und Stift zur Verfügung stellen, so wie sie es eigentlich müssten. Noch dazu gibt es keine Toiletten im Bereich für die Zuschauer. Da macht sich bemerkbar, dass der Staat diese Verfahren für wahnsinnig gefährlich zu halten scheint, wenn sogar die Zuschauer einer zusätzlichen Gefährlichkeitsuntersuchung unterworfen werden.

Hannah Rainer ist Juristin und Prozess­beobachterin.

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