Nakba geht weiter
Von Jörg Tiedjen
Nach dem skandalösen Auftritt von US-Präsident Donald Trump und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu am Dienstag in Washington rudert das Weiße Haus zurück. Am Mittwoch war nicht mehr die Rede davon, dass die Palästinenser aus Gaza umgesiedelt werden sollen, um den von Israel monatelang zerbombten und weitgehend zerstörten Küstenstreifen in eine »Riviera der Levante« oder ein zweites Monaco verwandeln zu können – wobei man Präsidentenschwiegersohn Jared Kushner, die »Inspiration« bei Trumps Plänen, darauf aufmerksam machen sollte, dass Gaza tatsächlich einmal prosperierte, und zwar vor Beginn der israelischen Besetzung Palästinas. Kushner, der auch als Ideengeber der sogenannten Abraham-Verträge zur Normalisierung zwischen Israel und ausgewählten arabischen Staaten gilt, hatte eine Umsiedlung aller Palästinenser schon vor einem Jahr bei einer Veranstaltung an der Universität Harvard ins Spiel gebracht.
Angesichts einer Welle der Empörung und des Widerspruchs präsentierte US-Präsidentensprecherin Karoline Leavitt am Mittwoch eine abgewandelte Geschichte: Demnach sollen die überlebenden Einwohner Gazas nur vorübergehend in andere Länder ausreisen, bis auf den Trümmern neue Wohnviertel für sie errichtet würden. Nebenbei gab das Weiße Haus dabei zu, dass der Gazastreifen nach dem monatelangen Bombardement durch Israel, für das man selbst einen Großteil der Waffen geliefert hatte, kaum mehr bewohnbar ist. Während Washington vorsichtig zurückruderte, griff Israel jedoch Trumps Phantasie auf, die Netanjahu im Beisein Trumps als »innovativ« gelobt hatte. So wies der israelische Verteidigungsminister Israel Katz die Armee am Donnerstag an, eine »freiwillige Ausreise« von Palästinensern aus dem Gazastreifen vorzubereiten.
Am Vortag hatte der israelische Sender N 12 dazu ein paar zuvor unbekannte Details mitgeteilt. Demnach werden anscheinend nicht allein die Nachbarstaaten Jordanien und Ägypten als mögliche Zielländer einer Umsiedlung der Palästinenser diskutiert, sondern auch »Marokko, Puntland und Somaliland«, da diese ein Interesse hätten, »ihre Beziehungen zu Washington zu stärken«. Schließlich haben sich Puntland und Somaliland für unabhängig erklärt, obwohl sie nach wie vor zu Somalia gehören. Marokko wiederum hält seit Jahrzehnten große Teile der alten spanischen Kolonie Westsahara besetzt und verwendet seit langem den Großteil seiner außenpolitischen Energie darauf, diesen Zustand international zu legitimieren und dauerhaft zu zementieren. Rabat dürfte allerdings kaum ein Interesse daran haben, den Nahost- und den Westsahara-Konflikt noch enger zusammenzubringen, als es seit Trumps Entscheidung von 2020, die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko im Gegenzug zur Beteiligung des Königreichs an den »Abraham-Akkorden« anzuerkennen, ohnehin der Fall ist. Schließlich könnten die Marokkaner, die traditionell propalästinensisch eingestellt sind, ja auf die Idee kommen, dass es sich bei der Besetzung der Westsahara um das gleiche Unrecht handelt wie beim israelischen Vorgehen gegen die Palästinenser.
Nicht allein gegenüber Gaza, sondern auch im Westjordanland verfolgt Israel seine Annexionspolitik. Kurz nach dem Einsetzen der Feuerpause mit der Hamas hatte die israelische Armee dort die Operation »Eiserne Mauer« gestartet, die ebenfalls nach offiziellen Angaben der »Terrorbekämpfung« dienen soll. Doch im Schutz der Armee erweitern israelische Siedler dort zielstrebig ihr Territorium. So wurde laut Agentur WAFA am Donnerstag schon der zehnte neue Außenposten in der Westbank seit Anfang Januar errichtet – der erste Schritt zu umfangreicherem Landraub. Medienberichten zufolge ist die Offensive in der Westbank die Gegenleistung dafür, dass die extrem rechte Nationalreligiöse Partei des Ministers Bezalel Smotrich trotz ihrer Ablehnung der mit der Hamas ausgehandelten vorübergehenden Waffenruhe in Gaza in der Regierungskoalition verbleibt.
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