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Aus: Ausgabe vom 14.02.2025, Seite 4 / Inland
Ukraine-Friedensverhandlungen

Transatlantische Kernschmelze

Deutsche Politiker in Aufruhr nach Trumps Ankündigung von Ukraine-Friedensverhandlungen mit Putin
Von Karim Natour
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In Berlin bangt man nach dem Vorstoß von Trump um einen »Platz am Verhandlungstisch« (11.2.2024)

Das transatlantische Lager in Deutschland ist in hellem Aufruhr. Nachdem US-Präsident Donald Trump im Anschluss an ein Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin angekündigt hat, den Ukraine-Krieg durch »unverzügliche« Verhandlungen mit Moskau beenden zu wollen, herrscht in der deutschen Hauptstadt Hysterie. Laut Trump ist ein NATO-Beitritt Kiews vom Tisch. Eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014 schloss seine Administration ebenso aus wie eine Beteiligung von US-Truppen an einer Mission zur Friedenssicherung in der Ukraine.

An den Verhandlungen, die voraussichtlich in Saudi-Arabien stattfinden sollen, wird die EU laut einer Sprecherin Trumps nicht beteiligt sein. Das empört. Der SPD-Chef Lars Klingbeil nannte den Friedensvorschlag am Donnerstag einen »faulen Deal«. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte er, »eine Lösung über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg« sei »keine Lösung«. Die EU müsse »noch deutlich mehr Verantwortung übernehmen«. Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verlangte am Rande eines NATO-Verteidigungsministertreffens in Brüssel, die EU müsse an Verhandlungen beteiligt sein und »nicht am Katzentisch sitzen«. Die Zugeständnisse an Moskau seien »bedauerlich«. Eine mögliche NATO-Mitgliedschaft sowie etwaige Gebietsverluste hätten erst am Verhandlungstisch besprochen werden sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte vor einem »Diktatfrieden« zulasten der Ukraine. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter beklagte die »fehlende deutsche Haltung« und ein »Abnicken irrer US-amerikanischer Machtpolitik«, was »faktisch einen Angriffskrieg« belohne. Den Deal, der den blutigsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beenden soll, nannte er auf der Onlineplattform X ein »Desaster für ganz Europa« und »erst recht für die Menschen in der Ukraine«.

In Berlin steht man vor einem Scherbenhaufen. Jahrelang hatten deutsche Spitzenpolitiker einmütig mit der Biden-Administration behauptet, Moskau sei nicht zu Friedensgesprächen bereit. Angebote wurden gar abgelehnt. Die Ukraine müsse – durch mehr Waffenlieferungen – erst in eine »gute Verhandlungsposition« gebracht werden, bevor Diplomatie eine Option sei. Auch war die Rede davon, Russland durch Sanktionen zu »ruinieren« und zu »besiegen«. Jetzt verhandelt Washington direkt mit Moskau. Das zeigt: Der auf Kosten der Ukrainer geführte Stellvertreterkrieg hätte längst beendet werden können – durch diplomatische Bemühungen. Statt dessen wurden Waffen im Wert von Dutzenden Milliarden an Kiew geliefert, auch als niemand mehr ernsthaft glaubte, dass der Konflikt militärisch zu gewinnen sei. Zwischen Oktober 2021 und Dezember 2024 allein hat die Bundesregierung Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 14,8 Milliarden Euro für den Verbündeten erteilt.

Vor diesem Hintergrund bemühte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch um Schadensbegrenzung. Zum Auftakt von Ukraine-Gesprächen mit mehreren EU-Amtskollegen erklärte sie in Paris: »Wir haben als Europäer immer deutlich gemacht, dass der Verhandlungstisch bereitsteht.« Am Donnerstag schrieb ihr Ministerium bei X: »Die Ukraine will Frieden, wir Europäer wollen Frieden, die Amerikaner wollen Frieden. Wenn Putin jetzt endlich zur Einsicht käme und seinen Krieg gegen die Ukraine beendet, dann wäre das ein längst überfälliger Schritt.« Die für ihre Nähe zur Rüstungsindustrie bekannte EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) weigerte sich, den Traum vom großen Krieg schon aufzugeben. Bei X erklärte sie, es liege jetzt »an uns«, dafür »zu sorgen, dass die Ukraine aus einer Position der Stärke« verhandeln könne. Dazu gehöre »auch und endlich die Lieferung von ›Taurus‹ und die Erlaubnis, militärische Ziele auf russischem Boden zur Selbstverteidigung anzugreifen«. Das Vorgehen Trumps nannte sie eine »Demütigung Europas«. Lob kam indessen vom BSW. Parteichefin Sahra Wagenknecht sagte gegenüber dpa, es sei gut, Verhandlungen aufzunehmen, »um das Sterben und die Zerstörung in der Ukraine zu beenden«. Jahrelang seien »diejenigen, die für Friedensverhandlungen anstelle endloser Waffenlieferungen eingetreten« seien, als »Naivlinge oder Putin-Freunde diffamiert« worden. Nun beweise der US-Präsident, dass die Aufnahme von Verhandlungen nicht an der fehlenden Bereitschaft des Kreml gescheitert sei. Auch die AfD-Parteichefin Alice Weidel lobte die Initiative. »So geht das! USA und Russland verhandeln. Die führungslose EU hat es über drei Jahre nicht geschafft, irgend etwas auf den Weg zu bringen«, schrieb sie bei X.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (14. Februar 2025 um 06:11 Uhr)
    Kernschmelze ist vielleicht etwas zu schnell gedacht, eher ein Verfallsprozess von einigen Jahren. Ich habe die stille Hoffnung, dass Trump zum Gorbatschow des Westens wird. Vielleicht kommen NATO und EU bald ebenfalls in den Genuss, wie sich das so anfühlt, eine Perestroika. In Eitelkeit und der unerschütterlichen Selbstüberzeugung eines Messias ähneln sich Trump und Gorbatschow sowie darin, wie bisherige Verbündete behandelt, abgekanzelt und dann in Etappen fallen gelassen werden. Dinge, die bis gestern noch als unumstößlich galten, gelten von heute auf morgen nicht mehr. In beiden Fällen gibt es Massenentlassungen im Staatsapparat. Das betrifft die, denen vermutlich die Perestroika nicht gefällt. Nach der Landung des Kreml-Fliegers Rust entließ Gorbatschow Tausende von Offizieren aus der sowjetischen Armee, als ob die alle daran die Schuld getragen hätten, nur weil er selbst um seinen Sessel fürchtete. Als es dann später einen letzten Rettungsversuch für die UdSSR gab, war keine Mehrheit in dieser Armeeführung mehr vorhanden, die sich tatkräftig für diesen Staat eingesetzt hätte. Jetzt bei Trump – oh Wunder – sind sogar die US-Geheimdienste dran. Unter Breschnew kam es zu einer maximalen Disziplinierung innerhalb des Ostblocks so wie unter den letzten US-Präsidenten innerhalb der NATO. Ehedem glaubte Gorbatschow, gegen oder ohne bisherige Verbündeter besser wirtschaften zu können, jetzt glaubt es Trump. Ob er allerdings wirklich mehr ökonomischen Sachverstand als Gorbatschow hat (global gesehen, nicht in Teilgeschäften), wird sich herausstellen. Chaos naht. Mit Sicherheit wird Trump nie behaupten, es sei schon immer sein Lebensziel gewesen, in den USA den Sozialismus einzuführen (siehe umgekehrt Gorbatschow). Doch bei »Glasnost Marke Musk« werden in den Medien nun einige heilige Kühe auf der woken Wiese geschlachtet. Tagesschau, »Der Spiegel«, DLF und »Die Zeit« warten irritiert auf neue Instruktionen aus Übersee.

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