Kulturkämpfer auf Kreuzzug
Von Hansgeorg Hermann
Das Recht, durch Geburt auf französischem Boden automatisch die Staatsangehörigkeit des Landes zu erlangen, ist eines der wichtigsten Vermächtnisse der Revolution von 1789. Nichtsdestoweniger steht es in diesen Tagen zur Disposition. Der gegenwärtige französische Regierungschef François Bayrou selbst hat Ende Januar die scharfe Debatte über das windige Thema »Identität« losgetreten mit seiner als irgendwie »amtlich« zu verstehenden Bemerkung, seine Landsleute und ihn selbst belaste zunehmend ein »Gefühl der Überflutung« der Heimat durch Immigranten. Eine Steilvorlage für die politische Rechte. Seine beiden Rechtsaußen im Kabinett, Innenminister Bruno Retailleau und Justizminister Gérald Darmanin, überbieten sich seither mit »Reformanträgen« und böser Polemik gegen das Geburtsrecht auf Nationalität – französisch »Droit du sol«. Marine Le Pen, Anführerin des extrem rechten Rassemblement National (RN), verlangt ein Referendum.
Nicht von ungefähr steckt hinter dem Angriff auf diese bisher gesetzlich garantierte Form der Einbürgerung von Immigranten, die aus Kriegs- und Armutsgebieten auf französischen Boden geflüchtet sind, auch der harte Katholizismus der wichtigsten Protagonisten der gegenwärtigen Regierung. Retailleau und Darmanin etwa haben nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen »Zuwanderer« aus dem Maghreb, dem Sahel oder von den bitterarmen Komoren – Nachbarinseln des »Überseegebiets« Mayotte – gemacht, wo nicht das Christentum, sondern der Islam behauptet, dem einzig wahren Gott zu dienen. Angenähert oder bisweilen sogar bedient wird sich dabei der Theorie des Faschistenführers Éric Zemmour, wonach in nicht allzu ferner Zukunft eingewandertes islamisches Volk die christliche Gesellschaft verdrängt haben werde.
Vor einer »Versteigerung« des Rechtsstaats und dessen offenbar geplantem Transfer in einen rechtsautoritären Staat warnte am Mittwoch die Tageszeitung Libération und widersprach damit solchen in extrem rechte Gefilde abgewanderten Publikationen wie dem Sonntagsblatt Journal du Dimanche. In dieser Wochenzeitung des dem Faschismus huldigenden erzkatholischen Milliardärs Vincent Bolloré werden Retailleau und Darmanin für ihre entschlossenen Worte zur beabsichtigten Verschärfung – besser noch: Abschaffung – des Geburtsrechts gelobt. Beispielsweise Darmanins Klartext, Franzose werden dürfe niemand durch einen gesetzlich festgelegten »Automatismus«. Allein, forderte Le Pens politischer Ziehsohn und aktueller Chef des RN, Jordan Bardella, den Worten müssten endlich Taten folgen.
Bayrous lahme Erwiderungen allerdings, das sperrige Thema »Was macht einen Franzosen aus? Wer darf die französische Nationalität bekommen?« müsse dem Volk zuliebe auf den Tisch kommen, verdrängen vorerst nur spärlich eine andere auf dem Katholiken Bayrou lastende hässliche Geschichte: Das katholische Seminar Notre-Dame de Bétharram am Fuß der Pyrenäen, das der Regierungschef als nach wie vor amtierender Bürgermeister der dortigen Provinzhauptstadt Pau nach Kräften gefördert hat und wo seine Kinder zur Schule gingen, steckt in einem heftigen Skandal. »Körperliche Gewalt« gegen die Eleven und »Pädokriminalität« seien dort offenbar seit Jahrzehnten an der Tagesordnung gewesen, berichtete jüngst das Internetportal Mediapart. Des guten Katholiken Bayrous Behauptung, »niemals über physische oder sexualisierte Gewalt informiert« gewesen zu sein, entlarvte Mediapart mit der Veröffentlichung entsprechender amtlicher Dokumente als »glatte Lüge«.
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