Nachdenken über Angriff auf Iran
Von Knut Mellenthin![6.JPG](/img/450/205463.jpg)
Ganz große Überraschung, wenn nicht sogar eine Sternstunde des investigativen Journalismus: Israel denkt darüber nach, in diesem Jahr einen Großangriff auf iranische Atomanlagen durchzuführen, genauer gesagt noch vor der Jahresmitte. Die Welt erfuhr es in den Donnerstagausgaben der US-amerikanischen Tageszeitungen Wall Street Journal und Washington Post. Die eine steht den Republikanern nahe, die andere den Demokraten. Seit der Watergate-Affäre vor 50 Jahren hat die Post einen Ruf zu verlieren, den sie längst nicht mehr hat.
Dass heute über den großen Schlag, den Benjamin Netanjahu tatsächlich schon 1995 forderte, als es noch nicht mal ein iranisches Atomprogramm gab, besonders intensiv nachgedacht wird, ist nicht neu. In Israel weiß das seit Monaten jedes Kind, es ist dort schließlich kein behütetes Geheimnis, sondern Alltagsthema. Alle relevanten israelischen Parteien, ob sie als Regierung oder als Opposition agieren, sind sich im Grundsatz einig, dass es nun endlich geschehen muss und dass die Chance dafür noch nie so groß war: Iran sei geschwächt und verletzbar, heißt es, seine Luftverteidigung sei seit dem israelischen Angriff am 26. Oktober fast ausgelöscht, Verbündete wie Hisbollah, Hamas und Syriens Präsident Baschar Al-Assad seien Teheran abhandengekommen.
Das Wall Street Journal, das die Nase knapp vorn hatte, und die Washington Post, die kurz darauf folgte, haben offenbar getrennt voneinander, aber zur gleichen Zeit mit US-amerikanischen »Offiziellen« gesprochen, die ihre Namen nicht veröffentlicht sehen wollen, weil die von ihnen mitgeteilten Dokumente streng geheim seien. Es geht um Einschätzungen US-amerikanischer Geheimdienste hinsichtlich der israelischen Absichten gegenüber Iran. Die Analysen stammen, das macht sie besonders reizvoll, zum einen aus dem Herbst vorigen Jahres und der ersten Januarhälfte, als noch Joe Biden Präsident war, zum anderen aber von Ende Januar nach Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus.
Die Ergebnisse gleichen sich: Israel erwägt nach Erkenntnissen und Mutmaßungen der US-amerikanischen »Intelligence Community« den Angriff auf das iranische Atomprogramm, den es seit Anfang der 2000er ständig angekündigt, aber immer wieder verschoben hatte. Hauptziel sollen die unterirdischen Anreicherungsanlagen bei Natanz und Fordow sein. Israel strebt, das ist die dritte banale Einschätzung, die sich aus den Dokumenten ergibt, maximale Unterstützung der USA an und erwartet sich diese mit großer Sicherheit von Trump, der so wirkt, als würde er generell keine israelischen Wünsche unerfüllt lassen.
Dennoch hat der exzentrische Milliardär mit dem Kindergemüt zunächst Vorrang: Er würde sich gern mit einem »Deal« schmücken, der aber nur zustande kommen könnte, wenn Iran in allen Punkten nachgibt. Dazu gehören der Verzicht auf ballistische Raketen, die weitgehende Liquidierung seines Atomprogramms und die Einstellung der Förderung ausländischer Verbündeter. Offen ist noch, ob die USA den Angriff nur mit Informationen, Logistik und Waffenlieferungen unterstützen, oder ob sie sich am Krieg gegen Iran mit dem Abwurf superschwerer zielgesteuerter Bomben direkt beteiligen. Einige der zitierten US-amerikanischen »Offiziellen« ohne Namen nehmen an, dass anderenfalls nur ein Zurückwerfen des iranischen Atomprogramms um wenige Monate möglich sei.
Siehe auch
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Morteza Nikoubazl/IMAGO/NurPhoto25.01.2025
Eigentlich wollen sie reden
- Omar Sanadiki/REUTERS23.01.2025
Ein Land für alle?
- Carlo Allegri/REUTERS14.12.2024
»Historische Chance nutzen«
Mehr aus: Ausland
-
»Sie verbreiten Angst unter den Bauernfamilien«
vom 14.02.2025 -
Massenprotest
vom 14.02.2025 -
Hamas rettet Waffenruhe
vom 14.02.2025 -
Kulturkämpfer auf Kreuzzug
vom 14.02.2025 -
Petros Kabinett zerstritten
vom 14.02.2025 -
Regierung in Wien gesucht
vom 14.02.2025 -
»Wir appellieren an die Jugend der Welt«
vom 14.02.2025