Der perfekte Nazi
Von Sabine Lueken
Am Ende der Ausstellung sehen und hören wir die Witwe Heydrich: »Ich bin auch heute noch der Meinung, dass die Aufgabe, die mein Mann damals hatte, eine rein positive war. Und dass er das Beste für die Tschechei glaubte, machen zu können.« Um dann noch einen draufzusetzen: »Wenn ich könnte, wie ich wollte, barfuß, ohne Schuhe, würde ich wieder zurückgehen. Es war eine wun-der-bare Zeit« (tschechoslowakische TV-Dokumentation von 1979). Wie wichtig war Lina, geborene von Osten, für Reinhard Heydrichs Karriere? Sie war überzeugte Nazianhängerin bis zu ihrem Tod 1985, brachte ihn zur NSDAP, durch die Verlobung mit ihr verlor er seine Ehre als Marineoffizier und wurde ausgemustert, weil er zuvor bereits einer anderen die Ehe versprochen hatte. Dieser gewaltige Knick in seiner Karriere machte ihn zu einem idealen Protegé Heinrich Himmlers, der gerne solche Problemfälle in seine Reihen aufnahm. Sie waren dann meist besonders fleißig und ihm treu ergeben. 1931 stellte Himmler ihn ein, und Heydrich konnte endlich wieder Uniform tragen.
Die empfehlenswerte Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors – erstmalig der Biographie eines Haupttäters des Naziregimes gewidmet – ist betont sachlich gehalten. Im Zentrum dokumentiert sie chronologisch Heydrichs Karriere in vier Kapiteln mit viel Text auf Leuchttafeln, teilweise bisher unbekannten Fotos und Dokumenten zum Blättern. Je ein »Erklärfilm« versucht, mit Karten und Organigrammen Übersicht zu verschaffen. Drumherum gruppieren sich kürzere Abschnitte über Herkunft und Nachleben, Privatleben und Selbstverständnis.
1904 in Halle (Saale) in eine bürgerliche Familie geboren, musisch begabt, katholisch erzogen, gehörte Heydrich zur »Generation des Unbedingten« (Michael Wildt, 2003). Zu jung, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen, aber durch dessen Ausgang bis ins Innerste gekränkt. Inflation und Weltwirtschaftskrise ruinierten die Familie auch ökonomisch. Schon als 15jähriger Gymnasiast hatte Heydrich sich dem Freikorps General Georg Maerkers in Halle angeschlossen, nach der Niederschlagung der Rätebewegung dann der Einwohnerwehr. Die Ausbildung zum Marineoffizier ab 1922 absolvierte er in Flensburg-Mürwik.
Ein Freund der Familie vermittelte ihn im Sommer 1931 an Himmler, der den Funkoffizier fälschlich für einen Militärgeheimdienstmann hielt. In seinem Untermietzimmer in der Türkenstraße in München begann Heydrich, der von Geheimdienst bis dahin keine Ahnung hatte, anfangs mit Lina zusammen mit der systematischen Erfassung der Beamten der Münchner politischen Polizei und ihrer Spitzel in der NSDAP. Der »Sicherheitsdienst« (SD) aus der Zigarrenkiste war geboren.
Dicht hinter seinem Chef machte Heydrich eine steile Karriere, die sich auch finanziell auszahlte. Zuerst als Münchner Polizeipräsident, dann als Chef der bayerischen Polizei, dann im ganzen Reich verschmolz er den Polizeiapparat mit dem parteieigenen SD, schuf auf diese Weise einen Komplex aus staatlicher Exekutive und Partei, »Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit« in einem, wie ein Sammelband Wildts 2003 titelt. Den schnellen Erfolg des Naziregimes sicherte er mit Festnahmen unter dem Vorwand der »Schutzhaft« und Einweisung in Konzentrationslager ohne Kontrolle durch die Justiz. Daneben wurde er zum Motor der Vernichtung des europäischen Judentums lange vor der Wannseekonferenz im Januar 1942. Sein teuflisches Gesellenstück hatte er bereits am 30. Juni 1934 abgeliefert, als Organisator der Morde nach dem angeblichen »Röhm-Putsch«, der Ausschaltung der SA-Führung plus einiger anderer Gegner.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wuchs Heydrichs Macht. Zentrale Terrorinstitution war das von ihm geleitete Reichssicherheitshauptamt (RSHA), zusammengefasst aus SD und Sicherheitspolizei (Gestapo und Kripo) mit Außenstellen in allen besetzten Ländern. Heydrich favorisierte eine »kämpfende Verwaltung«, seine Mitarbeiter sollten rotieren, so dass möglichst alle auch mit »praktischen« Mordarbeiten direkt hinter der Front beschäftigt wurden. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion reiste er zur Inspektion dorthin, lobte, wenn seine Einsatzgruppen in vorauseilendem Gehorsam Massenerschießungen an Juden und vermuteten Kommunisten »durchgeführt« hatten, und rügte, wenn sie »mit der militärischen Entwicklung nicht Schritt« hielten. So sorgte er dafür, das Morden »erheblich zu intensivieren«.
Am 27. September 1941 beauftragte Hitler Heydrich mit der faktischen »Führung der Geschäfte« im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« anstelle des ihm zu laschen Konstantin von Neurath. Bereits am ersten Tag seiner Ankunft in Prag griff Heydrich hart durch, ließ die tschechische Regierung auflösen, den Ministerpräsidenten verhaften und in einem Schauprozess zum Tode verurteilen. 489 Menschen wurden hingerichtet, 1.673 ins KZ Mauthausen verschleppt. Er baute ein »Rasse«-Forschungszentrum auf (das als »Reinhard-Heydrich-Stiftung« nach seinem Tod weiterarbeitete) und begann zwecks möglicher »Eindeutschung« mit der »völkischen Bestandsaufnahme« unter dem Deckmantel der Tuberkulosebekämpfung. Mit der Einrichtung des Ghettos Theresienstadt leitete er die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung ein.
Fallschirmjäger der tschechoslowakischen Auslandsarmee, der Tscheche Jan Kubiš und der Slowake Jozef Gabčík verübten am 27. Mai 1942 im Auftrag der Exilregierung in London ein Attentat auf Heydrich, an dessen Folgen er starb. In einer Radioansprache der BBC im Juni 1942, gerichtet an deutsche Hörer, nannte Thomas Mann Heydrichs Ende den »natürlichsten Tod, den ein Bluthund wie er sterben kann«. Heute findet sich in der Krypta der orthodoxen Kirche St. Cyrill und Method in Prag, wo sich die Widerstandskämpfer versteckt hielten, eine Ausstellung über die »Helden der Heydrichiade«. Der Begriff wird in Tschechien für die Vergeltungsaktionen nach dem Attentat, u. a. die Zerstörung der Gemeinden Lidice und Ležáky, in der Ausstellung aber für die Verhaftungswelle beim Dienstantritt Heydrichs verwendet. Man hätte gern mehr erfahren über das Erinnern an Heydrich in der Tschechischen Republik. Die Ausstellung zeigt ein T-Shirt mit einer Comiczeichnung des Attentats und der Aufschrift »Czechoslovaks got him!«
»Reinhard Heydrich: Karriere und Gewalt«, Topographie des Terrors, Berlin, bis 10. Juni 2025
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (17. Februar 2025 um 10:55 Uhr)Reinhard Heydrich ist bereits Mitte 1941 von Hermann Göring mit der sogenannten »Endlösung der Judenfrage« beauftragt worden. In der Folge dessen leitete er auch die berüchtigte »Wannsee-Konferenz« vom 20. Januar 1942, auf der die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas beschlossen worden ist. Damit wurde er zu einem der Hauptverantwortlichen für Mord und Gewalt im faschistischen deutschen Staat. Ralph Dobrawa, Gotha
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