Rotlicht: Grünbuch
Von Jörg Kronauer
Mit den Grünbüchern verhält es sich wie mit den blauen Briefen: Sie haben ihren Namen ursprünglich von der Färbung ihres Papiers oder ihres Einbandes erhalten. Der Sache nach zeichnen sich Grünbücher dadurch aus, dass sie den Diskussionsstand zu einem bestimmten Thema zusammenfassen, um Behörden oder Ministerien eine halbwegs strukturierte Debatte zu ermöglichen. Nähert sich die Debatte einem Ergebnis, dann kann dieses in einem Weißbuch festgehalten werden, das wiederum die Grundlage für konkrete Entscheidungen bilden kann. Wenn man so will, lassen sich Grün- und Weißbücher, weil sie ihrem ursprünglichen Zweck nach nur für behördeninterne Leser, nicht für den Buchhandel bestimmt sind, auch als graue Literatur einstufen. Das unterscheidet sie von einer anderen Literaturgattung, die ab und zu veröffentlicht wird, wenn aus den Grün- und den Weißbüchern allzu große Katastrophen entstehen – von den Schwarzbüchern. Für Deutschland ist sogar ein Braunbuch belegt.
Grünbücher legt schon seit Jahrzehnten beispielsweise die EU-Kommission vor. Ein frühes Exempel war das 1984 gedruckte »Grünbuch über die Errichtung des gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel«, dessen Umschlag allerdings nicht in grün, sondern – in der deutschen Fassung – in einem dunkel gelblichen, im englischen Original in einem schwer definierbar pinken Ton gehalten war. Der Diskussionsprozess, der auf seiner Grundlage geführt wurde, mündete nach – für die EU kurzen – fünf Jährchen in die Verabschiedung einer EU-Richtlinie, die das grenzüberschreitende Fernsehen regelte (der Name der Richtlinie: »Fernsehen ohne Grenzen«). Weitere Grünbücher gab die Kommission zu den verschiedensten Themenfeldern heraus, vom Handel über die Meeresforschung bis zur »Zukunft der Beleuchtung«. Natürlich hat die EU kein Monopol darauf. Auch deutsche Ministerien legen zuweilen Grünbücher vor. Das Bundeswirtschaftsministerium zum Beispiel hat Grünbücher zu digitalen Plattformen oder auch zur Energieeffizienz erarbeitet, das Bundesbauministerium ein aufmunterndes Grünbuch »Stadtgrün«.
Inzwischen haben sich auch nichtstaatliche oder vorgeblich nichtstaatliche Organisationen vom Grünbuchwesen inspirieren lassen und publizieren Bücher unter diesem Namen. Zu ihnen gehört das 2007 gegründete »Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit«, ein formal privater Verein, der vorgibt, gemeinnützig zu sein. Seinem Vorstand gehören Vertreter verschiedener Bundes- und Landesministerien, der Polizei, der Feuerwehr, mehrerer Securityfirmen sowie Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne an. Das Zukunftsforum hat inzwischen mehrere Grünbücher vorgelegt, unter ihnen solche zur »öffentlichen Sicherheit« und eines zur Coronapandemie. Sein jüngstes Grünbuch (»ZMZ 4.0«) hat es in sich: Es behandelt die sogenannte zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) »im militärischen Krisenfall«.
Konkret: Das Grünbuch skizziert einen im Frühjahr 2030 eskalierenden Konflikt zwischen der NATO und Russland, der in einem beiderseitigen Truppenaufmarsch an der NATO-Ostflanke mündet. Die über die »Drehscheibe Deutschland« nach Osten ziehenden NATO-Truppen müssen versorgt, ihre Gerätschaften betankt und gewartet werden; dafür werden Zivilpersonen eingesetzt. Zudem müssen von der zur Ostfront werdenden Ostflanke bis zu 1.000 Verletzte pro Tag zur Behandlung in deutsche Krankenhäuser gebracht werden, auch dazu sollen Zivilisten herangezogen werden. Die Bevölkerung muss sich allerlei Einschränkungen bieten lassen. Das könne zu »Unruhen« führen, heißt es – und weil man ohnehin mit Aktionen von Friedensaktivisten und Sabotage durch feindliche Kräfte rechne, gelte es, Vorkehrungen zu treffen – mit Hilfe etwa von Geheimdiensten, Polizei, Militärpolizei. Eine Hoffnung bleibt allerdings: Nicht jedes Grünbuch schafft es in die Umsetzungsphase.
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