Die Stimme Palästinas
Von Helga Baumgarten
Mustafa Al-Kurd wurde 1945 in der Altstadt Jerusalems geboren. Da er seinen Vater früh verlor, musste er noch als halbes Kind anfangen zu arbeiten. Er lernte Schlosser und war fest im Arbeitermilieu verankert. Parallel dazu faszinierte ihn die Musik, und er brachte sich fast alles als Autodidakt bei. Direkt nach dem Junikrieg 1967 und der israelischen Besatzung Restpalästinas begann er, politische Lieder zu schreiben und zu singen.
Seine Musik und seine Lieder brachten ihn in Kontakt mit François Abu Salem und der Theatergruppe Ballalin. Er zeigte enormes Talent als Schauspieler und faszinierte Abu Salem mit seinen immer neuen Rollen. Mustafa begann, die Musik für die Theaterstücke zu schreiben, inklusive immer neuer Lieder. Als sich Ballalin auflöste, spielte er mit der Restgruppe in der Eigenproduktion »Lama indschanena« (Als wir verrückt wurden) – eine bessere Interpretation der Unterdrückung durch die Besatzung und dessen, was sie bis heute mit den Menschen macht, ist kaum vorstellbar. Unausweichlich blieb dann die Ausweisung ins Exil, nachdem er Monate in Administrativhaft festgehalten worden war. Er war nicht der erste und sollte nicht der letzte bleiben.
Die erste Station seines Exils war Beirut. Dort schrieb er die Musik für den Film »Tel Al-Saatar« seines Freundes Mustafa Abu Ali. In Beirut erhielt er die erste Einladung zum Festival des politischen Liedes in Ostberlin 1977. Dort lernte er viele Liedermacher kennen: von Mikis Theodorakis über José Afonso bis hin zu Pete Seeger. Die nächste Station sollte Berlin sein. In diese Zeit fällt seine zweite Teilnahme an dem Festival. Eine zentrale Rolle unter Mustafas zahllosen Auftritten in ganz Europa spielte seine Teilnahme am »Contr’ Eurovision«-Festival, das 1979 in Brüssel von linken Aktivisten als Gegenveranstaltung zum zeitgleich in Jerusalem ausgetragenen Grand Prix de la Chanson organisiert wurde. Sein Solokonzert erschien daraufhin als Schallplatte unter dem Titel »Mustafa Al-Kurd: Die Stimme Palästinas«.
Mit Hilfe seiner Rechtsanwältin Lea Tsemel konnte er 1985 nach Jerusalem zurückkehren. Er gründete das »Jerusalem Center for Arabic Music« und veranstaltete viele Konzerte und Lesungen, unter anderem mit der großen Dame der palästinensischen Poesie, Fadwa Tukan. Er setzte viele neue und kreative Ideen um: ein erstes Sufi-Konzert im Theater zum Beispiel oder ein Konzert mit zwei Ud-Solisten im Innenhof der Jerusalemer Propstei in der Altstadt. Sein Vermächtnis als Musiker, Schauspieler und Mensch: Kriecht nie zu Kreuze vor den Mächtigen. Haltet fest an eurer Identität als Palästinenser und seht euch gleichzeitig als Teil des internationalen Widerstandes gegen Kolonialismus und Unterdrückung.
Miterleben musste er noch den Beginn von Israels Genozid in Gaza. Im Gegensatz zu den Opfern hatte er das Privileg, umgeben von seiner Familie in seiner geliebten Geburtsstadt Jerusalem zu sterben und betrauert zu werden. Trauer auch aus Gaza für ihn. Hanin, vertrieben aus ihrem Wohnort Gaza-Stadt, musste ihr erstes Baby Sanad (der Junge, der Widerstand leistet) als Geflüchtete in Rafah auf die Welt bringen. Von dort rief sie in Jerusalem an: Wir werden dich nie vergessen, Mustafa! Wir werden nicht aufhören, deine Lieder zu singen: »Wir träumen von morgen / Von morgen träumen wir!«
Dies ist der 27. »Brief aus Jerusalem« der emeritierten Professorin für Politik der Universität Birzeit. Helga Baumgarten und Mustafa Al-Kurd gingen ihren Lebensweg gemeinsam von 1976 bis zu dessen Tod am 18. Februar 2024
»Während eines Angriffs der zionistischen Invasionstruppen
Gegen unser Volk auf dem Westjordanufer
Wurde in Dschenin
Die Schülerin Muntaha Hurani getötet
In den Meldungen hieß es
Muntaha sei unter den Ketten der anrollenden
Invasionspanzer gefallen.
Muntaha war siebzehn Jahre alt.
Dies ist das Lied über Muntaha
Sie starb den Märtyrertod
Und lebt weiter
Eine neue Schule in Dschenin
Wird ihren Namen tragen
Muntaha lebt weiter
Bis die Palästinenser wieder zurück sind
Als freie Menschen in ihrem Land«
(Gedicht: Samih Al-Kassem, Vertonung: Mustafa Al-Kurd; Muntaha Hurani wurde 1974 getötet)
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