Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 26.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Paranoia und Weltgeschichte

Hartmut König hat einen dokumentarischen Roman über den Slánský-Prozess geschrieben
Von Arnold Schölzel
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Kurz vor dem Fall: Demonstrierende Arbeiter tragen Porträts des damaligen Generalsekretärs Rudolf Slánský (Prag, 11.6.1950)

Hartmut Königs Doku-Fiction »Stalin, Dulles und der Galgen in Prag« stellt das Endarrangement etwa der Krimis von Agatha Christie an den Anfang: Auf der fiktiven Insel Donga in der Bucht von Manila leben vier fiktive Geheimagenten – ein US-Amerikaner, eine Britin, ein Franzose und ein Russe – sowie ein ehemaliger tschechoslowakischer Staatsanwalt. Bevor sie alle auf unterschiedliche Weise ums Leben kommen, klären sie, in Ich-Form erzählend, ihre Biographien auf.

Es geht um einen Rachefeldzug, den es so auch nicht gegeben hat, am Ende bleibt sogar unklar, ob nicht alles ein wirrer Traum war. Der Stoff hat allerdings einen sehr realen, besonders für Kommunisten und Sozialisten bitteren Hintergrund: Die westlichen Agenten in der Erzählung waren vor etwa 75 Jahren im Kalten Krieg durchweg Doppelagenten und an der vom späteren CIA-Chef Allen Dulles erdachten CIA-Operation »Splinter Factor« beteiligt. Dulles nutzte die Paranoia, die in den Hauptstädten der sozialistischen Länder Europas, vor allem in Moskau, wegen einer angeblich gigantischen Verschwörung in den kommunistischen Parteien dieser Staaten herrschte. Das Resultat war die Verfolgung und justizförmige Ermordung zahlreicher Kommunisten. In Königs Buch geht es um den »Prozess«, der vom 20. bis zum 27. November 1952 in Prag gegen den Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Rudolf Slánský, und 13 weitere Kommunisten wegen Teilnahme an einer »trotzkistisch-titoistischen, zionistischen Verschwörung« gemacht wurde. »Geständnisse« kamen unter Folter zustande. Elf Angeklagte, darunter Slánský, wurden zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 in Prag gehängt, die Asche der verbrannten Leichen verstreut. 1963 wurden Slánský und seine Genossen rehabilitiert. In Gang gesetzt wurden diese und andere Verfahren nach bisheriger Kenntnis von dem Doppelagenten des polnischen Geheimdienstes Józef Światło, der Mitte der 50er Jahre in den Westen überlief. In der DDR wurde ein Prozess vorbereitet, kam aber nach Stalins Tod 1953 nicht mehr zustande.

König lässt den in Leipzig aufgewachsenen Enkel eines der 1952 in Prag gehängten Kommunisten namens Oskar Chesilski, den es nicht gegeben hat, nach 1990 aus der DDR nach Manila aufbrechen. Ein ehemaliger Genosse Chesilskis, der sich geweigert hatte, seinen Großvater zu verraten, lebt dort und lädt den jungen Mann ein, auf Spurensuche zu gehen. Der erreicht mit einem selbstgebastelten Kleinflugzeug die Insel Donga, und während seines kurzen Aufenthaltes kommen alle vier Agenten um. Der Staatsanwalt, 1952 Ankläger, hatte schon vor seiner Ankunft das Zeitliche gesegnet. Die Geschichten der vier Agenten beginnen im Zweiten Weltkrieg. Sie arbeiten für die Geheimdienste ihrer Länder gegen die faschistischen deutschen Eroberer, werden aber nach Kriegsende im beginnenden Kalten Krieg von der 1947 gegründeten CIA gesteuert. Der sowjetische beziehungsweise russische Geheimdienstoffizier, der die westlichen Agenten aus den Zeiten der Antihitlerkoalition kennt, wird ab Ende der 40er Jahre damit betraut, die Prozesse in Osteuropa und die Justizmorde durchzusetzen. Jeder der Westagenten wurde auf unterschiedliche Weise in die Affäre gepresst.

Dem Autor ist ein Thriller besonderer Art gelungen, vielleicht, weil er ein persönliches Verhältnis zu den damaligen Verbrechen gewonnen hat, wie er im Prolog beschreibt. König lebte in den 70ern einige Jahre in Prag und kam 1974 beim Bier mit einem älteren Tschechen ins Gespräch, der sich darüber empörte, wie achtlos Josef Smrkovský (1911–1974), ein kommunistischer Anführer des tschechischen Widerstands gegen die faschistischen deutschen Besatzer, nach seinem Tod behandelt worden war. Auch Smrkovský war der herrschenden Paranoia Anfang der 50er Jahre zum Opfer gefallen, gefoltert und zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. 1955 entlassen, wurde auch er 1963 rehabilitiert und stieg unter Alexander Dubček auf.

König erzählt spannend eine tragische Geschichte in Geschichten. Das Politikum, das in den Erzählungen steckt, kann keinen, der mit der internationalen antiimperialistischen und mit der kommunistischen Bewegung verbunden ist, loslassen. Auch nicht den Autor. Er lässt das auf jeder Seite spüren.

Hartmut König: Stalin, Dulles und der Galgen in Prag. Doku-Fiction. Das Neue Berlin, Berlin 2025, 128 Seiten

Buchpremiere am Donnerstag, dem 27. Februar, um 19.30 Uhr im Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72, 10243 Berlin

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  • Leserbrief von Ralph Petroff aus Schweinfurt (4. März 2025 um 17:10 Uhr)
    Auf den entsprechenden Artikel des sehr lesenswerten DDR-Historikers Kurt Gossweiler hat dankenswerterweise bereits ein anderer Leser hingewiesen. Ich möchte noch ergänzen, dass ich mir das Protokoll des Slánský-Prozesses vorurteilsfrei durchgelesen habe – und die Ähnlichkeiten dessen, was den Angeklagten vorgeworfen worden, mit dem, was dann 1968 in ebendiesem Land tatsächlich passiert ist, sind frappierend (teilweise sind sogar dieselben Akteure beteiligt). Mir jedenfalls hat diese Parallele durchaus zu denken gegeben.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (26. Februar 2025 um 09:55 Uhr)
    Schölzel spricht im Zusammenhang mit dem Slánský-Prozess von »Paranoia« in den sozialistischen Ländern und einer »angeblich gigantischen Verschwörung« und versteigt sogar sich zu der Behauptung: »›Geständnisse‹ kamen unter Folter zustande«. Von Folter spricht nicht einmal die antikommunistische Wikipedia in ihrem Slánský-Artikel. Kurt Gossweiler schreibt in »Die Ursprünge des modernen Revisionismus oder: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde. Gedanken beim Lesen der Tagebücher Georgi Dimitroffs«: »In der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bekleidete den Posten des Generalsekretärs Rudolf Slansky, seit 1921 Mitglied und schon seit den späten zwanziger Jahren leitender Funktionär der Partei. Er benutzte seine Machtvollkommenheit, um Leute in Schlüsselpositionen im Staats- und Wirtschaftsapparat einzubauen, von denen ihm bekannt war, dass sie eine feindliche, antikommunistische und antisowjetische, prowestliche und protitoistische Einstellung hegten, und auch solche, deren Verbindung zu imperialistischen Geheimdiensten und feindlichen, darunter auch zionistischen Organisationen ihm bekannt waren. Auf diese Weise wurde er, wie es die Anklage formulierte, zum Leiter eines staatsfeindlichen Verschwörerzentrums.« Hermann Matern auf der 13. ZK-Tagung der SED (13. bis 14. Mai 1953): »Die Prozesse (…) lehren uns, dass die feindlichen Agenturen auf lange Sicht arbeiten, um Positionen in den kommunistischen und Arbeiterparteien zu erringen. Schon lange vor Beendigung des Weltkrieges war ihnen klar, dass die von der Sowjetarmee befreiten Völker einen antiimperialistischen Weg einschlagen würden und dass die kommunistischen und Arbeiterparteien die führenden Kräfte dabei sein werden. Deshalb haben der angloamerikanische Imperialismus und seine Spionagedienste schon frühzeitig begonnen, geeignete Elemente zu bearbeiten und als Agenten zu werben, um sie in führende Positionen der kommunistischen und Arbeiterparteien in den Ländern der Volksdemokratie zu lancieren.«
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in H.-J. R. aus Berlin (3. März 2025 um 03:17 Uhr)
      Danke vielmals dem Genossen Franz für seine klare Bezugnahme auf diese zum Teil zwielichtig von Arnold Schölzel angebotene Rezension. Ich bin darüber enttäuscht. Ebenso über die am 03. März 2025 positiv als Opfer genannten Namen wie zum Beispiel Wolfgang Harich und Walter Janka im abgedruckten Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen. Zwar meint der Autor es sicher ehrenvoll, was auf den Schluss seines Briefes hinweist, doch es ist irrig. Kurt Gossweiler, den Franz S. in seinem Leserbrief anführt, sollte in vor allem linken Bildungsprogrammen unbedingt Eingang finden. Chruschtschows Revisionismus steht auch im Einklang mit Noël Field, einem Vertrauten Allan Dulles’, dem Chef des US-Geheimdienstes. Field, wie sein Bruder, war ein Agent so u. a. eine gewisse Glaser während und nach der Weltkriegszeit. Es ging programmatisch um die Unterwanderung der kommunistischen Gruppen im internationalen Exil. Revisionisten wie Janka, der im Januar 1990 in einem Fernsehgespräch zum Beispiel – ich habe es noch voller Empörung im Ohr – vom Sinn her etwa äußerte: Den Lenin lasst mal beiseite, mit dem sollen sich die Russen alleine befassen. Hier ging es also nicht mehr »nur« um Stalin. Wer den erfolgreich sozialistischen Aufbau bis hin zur Zerschlagung des Hitlerfaschismus – in diesem Jahr am 8. Mai ist der 80. Jahrestag der Befreiung – unter Stalin auch nur verschweigt bzw. negativ vom Wesen her beurteilt, hat mit Lenin nichts und letztlich nichts mit Marx und Engels, insbesondere mit dem Manifest der kommunistischen Partei im Sinn. Das ist die Konsequenz auch zu Thomas Manns Ausspruch, wonach der Antikommunismus, die Grundtorheit der Epoche ist. Das bezieht sich logischerweise auf den Antistalinismus. Mein Freund Gossweiler sagte auch klar, dass es keinen Stalinismus gibt, wohl aber den Antistalinismus. Und ich ergänze: Letzterer ist der erfolgreich praktizierte ideologische Ausdruck von divide et impera als Revisionismus in der kommunistischen und Arbeiterbewegung.

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