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Aus: Ausgabe vom 26.02.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Poesie

Von Felix Bartels
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Butlers Dschihad als poetische Prämisse: In Herberts »Dune«-Welt koexistieren Steampunk und Magie

Alle Wege führen zu Aristoteles. Mithin der der Poesie. Da wäre zunächst die Unterscheidung zwischen poietischen und praktischen Tätigkeiten, herstellenden also und solchen, die allein in ihrer Ausübung liegen. Regiert zum Beispiel wird, solange man es tut. Ein Tischler dagegen schafft ein Ding, das dann unabhängig von ihm in der Welt ist. Entsprechend ordnet Aristoteles die Poesie den poietischen Tätigkeiten zu, und daher hat sie denn auch ihren Namen.

Poesie bestimmt sich für Aristoteles gegen Geschichtsschreibung. Jene beschreibe, was passiert sein könnte, diese, was passiert ist. Der Poesie wesentlich sei demnach ihr fiktionaler Charakter. Insofern man heute unter Fiktion mehr versteht, Poesie also zudem gegen eine zwar fiktive, doch alltägliche Prosaliteratur unterscheidet, hat der Begriff sich verändert. Dass Aristoteles jegliche fiktive Literatur als poetisch fasste, liegt vor allem daran, dass Historiographie zu seiner Zeit die nahezu einzige Form der Prosa war, in Herodot und Thukydides sind Geschichtsschreibung und Geschichtenschreiben noch nicht getrennt. Mit dem allmählichen Aufkommen fiktiver Prosa – Anekdote, Roman etc. – wird die Trennung von Poesie und Prosa auch im Bereich des Fiktionalen manifest. Damit war das moderne Verständnis von Poesie mit ihrem Gegenbegriff der Prosa etabliert. Wie aber unterscheiden sich Poesie und Prosa?

Da beide Literatur bezeichnen, die Geschichten erfindet, scheint die Differenz in der Form zu liegen. Augenfällig wird hier zunächst die Verwendung gebundener und nicht gebundener Sprache, Metrik und Prosodie. Der Vers aber ist nicht zwingend Merkmal poetischer Literatur. Es gibt Gattungen, die keinen Vers verwenden und dennoch als poetisch gelten müssen. Das Märchen etwa oder die Fabel. Was ein Werk poetisch macht, wäre tiefer zu suchen. Im Gestus selbst nämlich, der an der Form nur bedingt festgemacht werden kann. Dieser Gestus lässt sich am ehesten als »das Weltfremde« fassen, wobei das nicht heißt, Poesie habe keine Relevanz fürs Weltliche. Dass genau das zusammengehen kann, macht vielmehr ihren Charakter aus. Während Prosa eng am Alltag bleibt – Dinge sind, wie Dinge sind, Leute reden, wie Leute reden –, ist das poetische Werk entrückt, fremd, vor- oder überzeitlich. Möglichkeiten, das zu erreichen, gibt es viele: den historischen Stoff, die Verfremdung, das Abstrakte, den Mythos, das Sakrale, das Magische, fantastisches Wordbuilding, die Idylle etc. Die Entrückung muss, wie die Beispiele zeigen, auf irgendeine Weise regressiv oder abgezogen sein. Zauberei wird als poetisch empfunden, ­Science Fiction (sie wäre denn, wie in »Star Wars« oder »­Dune«, mit poetischen Elementen versetzt) eher nicht.

Dass die Entrückung auf dem Weg der Ab-, nicht der Anreicherung zustande kommt, spiegelt sich auch im Gebrauch der Sprache. So wie Industrie, Technik oder Aktendeckel das Poetische stören (und also nur zum Zweck der Irritation placiert werden können), scheint die poetische Sprache eine ausgewählte. Nicht jedes Wort eignet sich, das sprachliche Material ist im buchstäblichen Sinn erlesen. Poesie schreibt »zwingend« statt »automatisch«, »Erzeugung« statt »Produktion« usw.

Zu Entrückung und sprachlicher Auslese tritt eine dritte Eigenschaft, die Fähigkeit des Werks zur Metapher. Genauer: nicht lediglich Metaphern zu enthalten, sondern selbst (als ganzes) Metapher zu sein. Im poetischen Werk entsteht der Weltzugriff durch die Fabel. Die Wirklichkeit in ihrer alltäglichen Form erscheint ihren Bewohnern als krause Reihe von Einzelheiten, Poesie arbeitet das auch darin Enthaltene heraus, verwandelt es aber in eine unwirkliche Gestalt, die eben dadurch erst Wirklichkeit bedeuten kann. So leistet sie, was in der Philosophie das spekulative Denken leistet. Wie die logische Form das mannigfaltige Erscheinungswirrwarr aufs Wesentliche bringt und als in sich geschlossene (logische) Bewegung das Wirkliche nacherzählt, siebt die poetische Form das Zufällige, Anekdotische, Bloß-Materielle aus und bedeutet die Welt, indem sie Gegenwelt ist.

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