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Aus: Ausgabe vom 26.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Fotografie

Psychologische Landschaften

Die überfällige Ausstellung »I’m So Happy You Are Here« in Den Haag erschließt die Arbeiten japanischer Fotografinnen
Von Jürgen Schneider
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Nagashima Yurie: »Full-figured, yet not full-term«, 2001. Courtesy the artist, Maho Kubota Gallery, Tokyo, and Aperture

Die Lehigh University Art Gallery in Pennsylvania stellte 1989 Werke japanischer Fotografinnen aus – nachdem die Organisatoren eine Show, an der auch japanische Fotografen hätten teilnehmen sollen, hatten absagen müssen. Die Herren Fotografen wollten nicht mit ihren Kolleginnen ausstellen. In der ab 1997 vom Verlag Iwanami Shoten veröffentlichten 40bändigen Reihe »Japan’s Photographers« ist keine einzige Frau vertreten. Schon in dem sich als Standardwerk verstehenden Buch »Die japanische Photographie« von Heinz Spielmann, erschienen 1984, wurden fotografierene Frauen so gut wie nicht erwähnt, obwohl es sie seit dem Aufkommen dieser Lichtbilder in Japan um 1848 sehr wohl gab.

Von den 26 japanischen Fotografinnen, deren Werke derzeit im Fotomuseum von Den Haag unter dem Titel »I’m So Happy You Are Here — Japanese Women Photographers from the 1950s to Now« gezeigt werden, findet sich in Spielmanns Band lediglich Miyako Ishiuchi, die ihre Karriere in ihrer durch eine US-Militärbasis dominierte Heimatstadt Yokosuka begann. Über diese Anfänge sagt sie: »Ich habe Yokosuka fotografiert, weil ich den Eindruck hatte, die einzige zu sein, die das wahre Gesicht der Stadt enthüllen kann.« Sie dokumentierte zehn Jahre lang in Schwarzweiß die Präsenz und Spuren der US-amerikanischen Besatzung.

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Yanagi Miwa: »Elevator Girl House 1F«, 1997; aus der Serie »Elevator Girl«. Courtesy the artist and Aperture. Shiga

In der Den Haager Ausstellung, einer überfälligen Korrektur männlich dominierter Wahrnehmung, ist ein breites Spektrum an Fotos zu sehen, von Porträts, Alltagsszenen (Tokuko Ushioda, geboren 1940), abstrakten Farbkompositionen (Eiko Yamazawa, 1899–1995) über Collagen (Toshiko Okanoue, geboren 1928) bis zu Dokumentarfotos subjektiver wie politaktivistischer Natur.

Toyoko Tokiwa (1930–2019) wandte sich zu einer Zeit der Fotografie zu, als diese noch vor allem eine Männerdomäne war. 1945 wurde ihr Vater bei einem US-amerikanischen Bombenangriff getötet, sein Laden brannte nieder. Tokiwa hielt zunächst allgemein das Leben im Nachkriegsjapan fest, bevor sie sich auf das der japanischen Frauen konzentrierte. Mit ihrem Fotobuch »Kiken na adabana« (Gefährliche, giftige Blumen) widmete sie sich der Frauenarbeit. »Gefährliche, giftige Blumen« ist ein Euphemismus für die Sexarbeiterinnen, die im Rotlichtviertel von Yokohama den in der Nähe stationierten US-Soldaten zu Diensten waren. Ein um 1955 entstandenes Foto, das zu einem Symbol der US-Besatzung, des Zwangs, der Vergewaltigung und Kontrolle wurde, zeigt, wie ein US-Soldat eine junge Japanerin festhält, während ein zweiter Soldat seinen Blick abwendet.

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Shiga Liekof: »Okäsan no yasashii te (mother’s gentle hands)«, 2009; aus der Serie »Rasen Kaigan (spiral coast)«

Das Werk von Miwa Yanagi (geboren 1967) ist von Aufführungen einer rein weiblichen Theatertruppe inspiriert, die sie mit ihrer Mutter und Großmutter einst monatlich besuchte. Bekannt wurde sie durch ihr Projekt »Aufzugsmädchen«, mit dem sie die Restriktionen thematisiert, denen Frauen in Japan im Berufs- wie im Kulturleben unterliegen. Auf den Fotos sind Frauen in identischen dunkel- oder hellroten Kostümen sowie mit weißen Handschuhen in verrenkten Posen oder in einengender Umgebung, wie eben in einem Aufzug, zu sehen, was auf die gesellschaftliche Einschränkung ihrer Freiheit und Mobilität verweist. Auch Yanagis zweites Projekt, »Meine Großmütter«, setzt sich mit der Diskriminierung auseinander. Sie bat junge Frauen, sich ihr Leben in 50 Jahren vorzustellen, fotografierte sie und ließ die Bilder dann digital »altern«.

Yurie Nagashima (geboren 1973) ist durch ihre Porträts von sich und ihrer (nackten) Familie bekannt geworden. Das Selbstporträt unter Verwendung eines Stativs, so erläutert sie, erlaube, dass man sowohl in die Rolle des Models wie der Fotografin schlüpfen könne. So sei es möglich, gegen die tradierten Geschlechterrollen anzugehen. Das Werk von Momo Okabe (geboren 1981) ist ebenso intim wie tragisch. In ihrem Fotobuch »Dildo« zeigt sie die Geschichte ihrer Transgender-Lover Kaori und Yuko, deren Umwandlungsprozess, Identitätskrisen und soziale Isolation – Traumata in aller Buntheit. Okabe bezeichnet ihre Fotos als »psychologische Landschaften«. Trauma und Tragödie werden ihr zu magischen Momenten, wenn sie ihre Kamera als therapeutisches Werkzeug einsetzen kann.

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Okabe Momo: »zonder titel«, 2020; aus der Serie »Ilmatar«. Courtesy de kunst

Mari Katayama (geboren 1987) wurde mit einer Tibiadefizienz geboren, mit unterentwickelten Schienbeinen und einer fehlgebildeten linken Hand. Mit neun Jahren entschloss sie sich zur Amputation ihres linken Unterschenkels sowie ihres rechten Fußes. Auf ihren Fotos sind ihre körperlichen Defizite zu sehen; eines etwa zeigt sie in Unterwäsche, mit ihren Beinprothesen und einem auf ihrem Kopf ruhenden Stuhl. Sie sagt dazu: »Von Anfang an habe ich mich als Rohmaterial für meine Fotos empfunden.« Katayama sieht ihren Körper als eine Skulptur und ergänzt: »Das Gefühl der Verbindung meines Körpers mit den Körpern anderer Leute war eine Erfahrung, die buchstäblich meine Welt veränderte.«

Hitomi Watanabe (geboren 1943) hat die Studentenproteste und -besetzungen der späten 60er Jahre in Tokio und Kyoto mit beeindruckenden Schwarzweißfotos dokumentiert, vor allem die als Zenkyōtō bekanntgewordenen studentischen Komitees. Nachdem sie einen der Exponenten dieser Komitees kennengelernt hatte, die sich für Universitätsreformen und gegen den Vietnamkrieg engagierten, hielt sie als Freelancerin Tag und Nacht die studentischen Protestaktivitäten fest. Näher dran als sie war keiner der von den Medien entsandten Fotografen. Watanabe hatte auch Zugang zu Orten, die ihren Kollegen verwehrt blieben. Als sie einmal von der Polizei festgenommen wurde, setzte diese sie schnell wieder auf freien Fuß – mit der Bemerkung: »Sie ist doch nur ein Mädchen.«

»I’m So Happy You Are Here — Japanese Women Photographers from the 1950s to Now«, Fotomuseum Den Haag, bis zum 5. Mai 2025

Der hervorragende Katalog gleichen Titels ist bei aperture erschienen und kostet 68,97 Euro

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