Eine Faust für Palästina
Von Max Grigutsch
Die erhobene Faust ist ein historisches Symbol der Arbeiterbewegung und zahlreicher antikolonialer Befreiungskämpfe. Im Kontext der Palästina-Solidarität sollte sie derweil als strafbar ausgelegt werden. Durch einen Freispruch wurde jetzt ein drohender Präzedenzfall abgewendet. Das skurrile Verfahren vollzog sich am Mittwoch im Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Ein 25jähriger Palästinenser fand sich auf der Anklagebank wieder, weil er auf einer Palästina-Demonstration in der Hauptstadt im Januar 2024 eine Fahne getragen hatte, auf der eine Faust in den Farben der Palästina-Flagge abgebildet war. Der Gruppe »Palästina Antikolonial Münster« zufolge, der der Angeklagte angehört, wurde er während der Versammlung »plötzlich von den Bullen herausgezogen, ohne Vorwarnung und Kommunikation in ein Auto gesteckt und weggefahren«. Das »war wie eine Entführung«, so der Angeklagte am Mittwoch gegenüber junge Welt.
Die Staatsanwaltschaft hatte mit einem Strafbefehl nachgelegt. Die Faust ähnele dem Symbol der Jugendbewegung »Hirak« des inzwischen verbotenen Solidaritätsnetzwerks für palästinensische Gefangene, »Samidoun«, dem vom Bundesinnenministerium eine Nähe zur palästinensischen Organisation Hamas zugeschrieben wird. Der Vorwurf gegen den jungen Mann: Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Gegen den Strafbefehl über satte 1.200 Euro hatte der Angeklagte Einspruch eingelegt. Für den Gerichtstermin musste der Kinderpfleger aus seinem Geburts- und Heimatort Münster anreisen. Im Gespräch mit jW betonte er vor Verhandlungsbeginn, das Ganze sei eine »Lachnummer«, schließlich gebe es viele verschiedene Fäuste. »Es muss einen Freispruch geben.«
So kam es auch, aber nicht ohne weitere Absurditäten. Vor dem Gericht sammelten sich etwa 20 Unterstützer, die meisten von ihnen trugen eine Kufija. Diese wurden allerdings beim Gang durch die Sicherheitsschleuse von den Justizbeamten einkassiert, wie eine Besucherin dem Saal per Zwischenruf mitteilte. Das sei ohne Anordnung der Richterin geschehen, wie der Strafverteidiger Benjamin Düsberg erklärte. Dafür habe es keine Rechtsgrundlage gegeben.
In seiner Eröffnungsrede protestierte der Angeklagte dagegen, dass er wegen einer Fahne mit einer Faust vor Gericht gezerrt worden sei. Statt dessen sollten »echte Verbrecher« wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, die für Waffenlieferungen an Israel mitverantwortlich seien, auf der Anklagebank sitzen. Demonstranten würden in Deutschland »für jeden Scheiß« angeklagt.
Düsberg machte die Richterin auf die besagte Fahne aufmerksam, die »handelsüblich auf Ebay« zu erwerben sei. Noch bevor er zu der Verteidigung des Angeklagten übergehen konnte, erklärte der anwesende Staatsanwalt: Entgegen dem Strafbefehl fordere man den Freispruch. Schließlich sei kein direkter Bezug der in Frage stehenden Faust und der per Verbotsverfügung kriminalisierten »Hirak-Faust« nachzuweisen. Dem schloss sich der Verteidiger an. Es gebe eine lange Geschichte der Faust als Symbol, etwa im Kontext der US-amerikanischen »Black Power«-Bewegung, der Frauenbewegung oder auch auf allerlei Musikalbumcovern der 70er Jahre. Ein Verbot wäre »verrückt«. Ohnehin sei keine ausreichende Ähnlichkeit zur kriminalisierten Faust der Samidoun-Jugendgruppe nachzuweisen. Die Farbgebung unterscheide sich, der Unterarm sei etwas länger abgebildet. Dass man über solche Fragen überhaupt vor Gericht diskutiere, »so weit ist es schon gekommen«.
Nach etwa zehn Minuten waren sich Verteidigung, Staatsanwalt und Richterin einig: Freispruch, »auf Kosten des Landes Berlin«. Der Angeklagte und sein Verteidiger gaben sich gegenüber jW erleichtert. Ein Schuldspruch wäre eine »echte Gefahr für das Faustsymbol« gewesen, so Düsberg. Im Vorfeld hatte Palästina Antikolonial gewarnt: »Eine erfolgreiche Kriminalisierung des Symbols würde eine noch willkürlichere Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung ermöglichen.« Aufgrund des Freispruchs blieb es am Mittwoch immerhin nur bei den Absurditäten der deutschen Behörden. Das Symbol darf weiterverwendet werden.
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