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Aus: Ausgabe vom 03.03.2025, Seite 2 / Inland
Bundespolizei

»Ein neues Maß der Kriminalisierung«

Die Bundespolizei hat einem Geflüchteten die Kosten ihrer Repression in Rechnung gestellt. Ein Gespräch mit Dave Schmidtke
Interview: Yaro Allisat
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Immer wieder geht die Polizei hart gegen Geflüchtete und »Schleuser« vor (31.10.2021)

Die Bundespolizeidirektion Pirna wollte einem Geflüchteten die Kosten für die erkennungsdienstliche Behandlung und für den Dolmetscher in Rechnung stellen. Wie kam es dazu?

Der Betroffene kam vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland und hat sich selbständig bei den Behörden gemeldet, um Asyl zu beantragen. Er hat Dokumente vorgezeigt, deren Echtheit von der Bundespolizei in Zweifel gezogen wurde. Deshalb wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, direkt nachdem die Person eingereist war.

Später stellte sich heraus, dass die Dokumente echt waren. Ihm wurde der Flüchtlingsstatus zuerkannt, er ist zu jedem Behördentermin erschienen. Ende letzten Jahres kam dann der Gebührenbescheid der Polizei, worüber die Person extrem verwundert war. Darin heißt es, dass er erneut als Tatverdächtiger in Betracht kommen und »in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden Straftat einbezogen« werden könne.

Der Anwalt des Betroffenen hielt das für einen Skandal und meinte, er hätte so etwas noch nie erlebt. Nach dem Widerspruch des Anwalts wurde der Bescheid aufgehoben. Die Polizei hatte also keine juristisch haltbare Begründung. Das Ganze war an den Haaren herbeigezogen. Das ist ein neues Maß der versuchten Kriminalisierung Geflüchteter.

Welchen Zugang zu rechtlicher Unterstützung können Geflüchtete in solchen Fällen wahrnehmen?

Es gibt kaum Möglichkeiten. Da ist zunächst die Sprachbarriere. Außerdem fehlt das Wissen darüber, wo man sich rechtliche Beratung holen kann. Gerade für Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) ist es extrem schwer, da nun die Sprechstunden der zentralen Ausländerbehörde wegfallen. Aufgrund des vorläufigen Landeshaushalts in Sachsen spart die Landesdirektion an allen Ecken und Enden. Gerade diese unglaublich wichtige Aufklärung fällt dann aber komplett weg, wenn Sozialarbeiter aus den Unterkünften sich nicht engagieren oder NGOs Angebote in den EAE machen würden.

Sehr viele Menschen werden ab ihrem Grenzübertritt kriminalisiert, meist wegen sogenannter illegaler Einreise. Bevor die Menschen also den Asylbescheid in der Hand haben, bekommen sie schon eine Anzeige der Polizei. Sobald man jedoch in einem geordneten Asylverfahren ist, muss dieser Straftatbestand eigentlich fallengelassen werden. Das ist extrem bedrohlich und einschüchternd für die Betroffenen. Das ist ein Signal, das die Politik an die Polizei gesendet hat: möglichst hart vorgehen, Menschen mit Gebühren oder Anzeigen einschüchtern.

Bisher handelt es sich laut euren Informationen um einen Einzelfall?

Das stimmt, aber die Polizei ist seit Oktober 2023 mit einem Großaufgebot an den Grenzen aktiv. Sie haben dort Stationen mit provisorischen Aufnahmelagern eingerichtet. Die Bundespolizei hat sich laut unseren Informationen darüber informiert, ob dauerhafte Lager an Deutschlands Außengrenzen eingerichtet werden können. Dieser Zustand wird also weitergehen.

Wie die Bundespolizei dort agiert, ist eine »Black Box«. Das ist hochproblematisch. Wir haben die Befürchtung, dass Menschen der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird. Im ersten Halbjahr 2024 wurde von 42.300 Menschen rund die Hälfte an der Grenze zurückgewiesen. Wir wissen nicht, wie das begründet wird. Es gibt keinerlei Protokolle, wie die Polizei die Zurückweisungen durchführt. Auch eine Begehung der Grenzstationen durch uns als NGO wird immer wieder verschleppt. Grund dafür waren Landes- und Bundestagswahlen. Die Polizei wolle sich nicht für einen politischen Wahlkampf instrumentalisieren lassen.

Macht sich der politische Rechtsruck in der Polizei spürbar?

Wir bemerken eine Übertragung des Rechtsrucks in die Behörden. So werden bei der Ausländerbehörde vermehrt Anträge auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Mehr Menschen werden trotz schwerer Krankheiten oder guter Integration abgeschoben. Europarechtlich ist noch gar nicht abgesichert, ob die Grenzkontrollen der Polizei rechtmäßig sind. Hier wird versucht, hohe Zahlen von Zurückweisungen und Abschiebungen zu schaffen, um den rechten Rand zu besänftigen, allerdings auf Kosten des legitimen Schutzanspruchs von Geflüchteten.

Dave Schmidtke ist Sprecher des Sächsischen Flüchtlingsrats

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