Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 05.03.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Rüstungskeynesianismus

Von Daniel Bratanovic
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Für so ein Ding hat nur ein (früher oder später) kriegführender Staat Verwendung: Haubitze von KNDS

Aus der Krise mit Kawumm? Krise ist die Existenz- und Bewegungsform der kapitalistischen Produktionsweise, denn sie kehrt verlässlich in Zyklen wieder und wieder. Der moderne spätbürgerliche Staat, wie er sich im Zuge einer Konzentration und Zentralisation der Kapitals, unentwegter Produktivkraftentwicklung und fortschreitender Vergesellschaftung der Produktion herausbildet, garantiert die Sicherung der Reproduktion des Gesamtkapitals und agiert im Falle ökonomischer Misere als Krisenreaktionskraft – wie erfolgreich, steht auf einem anderen Blatt.

Keynesianismus, semantische Nuancierungen einmal außer acht gelassen, ist eine Form solcher staatlichen Krisenreaktion. Der Staat sucht die krisenbedingt rückläufige Nachfrage nach Waren aller Art mittels vermehrter Staatsausgaben und expansiver Geldpolitik zu beleben. Wohin das Geld zu welchem Zweck fließt, ist zunächst unerheblich: Ob Löcher gegraben und wieder zugeschüttet, Pyramiden gebaut oder neuerrichtete Magnetschwebebahnen in bevölkerungsarmen Gegenden im Kreis fahren gelassen oder ob nicht gar sinnvolle Investitionen in Umweltschutz, Bildung oder Sozialpolitik getätigt werden, spielt unter dem Gesichtspunkt der Nachfragestimulierung keine Rolle.

Wieder schwer in Mode sind allerdings staatliche Gelder, die in die Produktion von Kriegsgerät fließen. Zwar wird die geplante Aufrüstung in lange nicht gekannten Ausmaßen in der hiesigen Debatte mit einer veränderten Weltlage begründet, die verlange, dass das Land wieder waffenstarrend wird, doch inzwischen hört man hie und da auch das konjunkturpolitische Argument. Rüstungsunternehmen verhandeln mit Herstellern ziviler Güter über Werksübernahmen, Rheinmetall wandelt seine Autozulieferer- in Rüstungsbetriebe um, der VW-Standort Osnabrück wird Waffenschmiede. Panzer aus dem Autowerk, Konversion einmal anders herum.

Den Konjunkturstimulus Kanone als Mittel antizyklischer Wirtschaftspolitik nennt man Rüstungs- oder Militärkeynesianismus. Avant la lettre war das, was die Nazis ab spätestens 1935 betrieben, nicht weniger eine Form solchen Keynesianismus als die gigantische Aufrüstung der USA ab den späten 1930 Jahren unter Franklin D. Roosevelt, die erst die große Depression beendete. Der faschistischen Parole »Kanonen statt Butter« hielten Verfechter eines sozialpartnerschaftlich orientierten Rüstungskeynesianismus dann in den Trente Glorieuses 1945-1975 die Devise »Mehr Kanonen und mehr Butter« entgegen. Im Kalten Krieg sollte der ideologische und politische Rivale im Osten auf diesem Wege niedergerungen werden.

Mit den Pyramiden und anderen gebrauchszwecklosen Gegenständen gemein haben Rüstungsgüter, dass sie ökonomisch besehen recht eigentlich reine Verschwendung von Ressourcen sind. Solche Güter sind weder Produktions- noch Konsumtionsgüter, fließen nicht in den Reproduktionsprozess ein und dienen somit langfristig auch nicht der erweiterten Erzeugung von Mehrwert, sondern sorgen gar für eine rückläufige Reproduktion. Für den einzelnen Rüstungsproduzenten verspricht die Rüstungskonjunktur indessen exorbitante Profite, er kann seinem einzigen Käufer, dem Staat, seine kostenmäßigen Bedingungen diktieren.

Zur Verteidigung des Rüstungskeynes­ianismus wurde immer wieder ins Feld geführt, dass staatliche Militärausgaben die wissenschaftliche wie technologische Forschung anspornten, deren Ergebnisse der zivilen Produktion zugute kämen (vorausgesetzt natürlich, die Waffen werden nicht einfach im Ausland eingekauft). Das mag im Einzelfall stimmen; erklärt ist damit aber nicht, warum überhaupt der Umweg über militärische Forschung und Produktion gegangen werden muss. So oder so, das »Deficit spending« des Staates zugunsten der Rüstungsindustrie muss auf die eine oder andere Weise refinanziert werden. Entweder direkt über erhöhte Steuern oder per Kredit, der aber früher oder später auch zu begleichen ist. Die Frage, wer die Zeche für Kriegsgerät zahlt, gerät dann direkt zu einer klassenpolitischen Angelegenheit.

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