Empörung über Abhörskandal
Von Gerhard Feldbauer
Ein Abhörskandal bisher nicht bekannten Ausmaßes hat in Italien eine Welle der Empörung ausgelöst. Wie jetzt durch Enthüllungen der Organisation »Reporter ohne Grenzen« (RSF) bekannt wurde, ist der Chefredakteur des Onlinenachrichtenportals fanpage.it, Francesco Cancellato, schon seit langem von der Regierung mit der Spionagesoftware »Graphite« des US-amerikanisch-israelischen Unternehmens Paragon Solutions überwacht worden. Das Ausspähen mit Hilfe des offiziell für Regierungszwecke entwickelten Programms erfolgte über einen in Whats-App installierten Trojaner, über den die Messengerplattform nach der Aufdeckung den Journalisten informierte. Der Journalist ist für seine investigativen Recherchen über Korruption, organisiertes Verbrechen und die extreme Rechte bekannt, darunter die Jugendorganisation der faschistischen Regierungspartei »Brüder Italiens« (FdI) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
»Was wir aktuell in Italien beobachten, scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Wir rechnen mit weiteren Fällen«, sagte Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei RSF, in einem Beitrag der Organisation vom Mittwoch. Denn laut Whats-App ist Cancellato nicht der einzige betroffene Medienvertreter. Die Betreiberfirma des Messengers nimmt an, dass EU-weit insgesamt mindestens 90 Personen ausgeforscht wurden, so auch in Belgien, Dänemark, Griechenland, Österreich, Portugal, Schweden und Deutschland. Unter ihnen sind italienische Aktivisten, welche die Meloni-Regierung wegen ihrer Politik gegenüber Geflüchteten kritisieren.
In Italien wurden diese kriminellen Aktivitäten zunächst verschwiegen, obwohl der britische Guardian schon am 1. Februar berichtet hatte, dass Cancellato mit der Software »Graphite« überwacht wird. Das Citizen Lab an der Universität von Toronto, das schon den bis heute nicht komplett aufgeklärten Skandal um die israelische Spionagesoftware »Pegasus« aufdeckte, habe die Fälle unabhängig forensisch analysiert. Demnach erfolgte die Infizierung der Geräte mit der Überwachungssoftware über eine PDF-Datei. Es habe sich offenbar um einen sogenannten Zero-Click-Angriff gehandelt, bei dem keine Aktion von seiten der Opfer ausgeführt werden muss, da das Übermitteln einer infizierten Nachricht bereits ausreiche, um ein Gerät digital zu infiltrieren. Bei »Pegasus« war es noch notwendig, eine Nachricht anzuklicken.
RSF fordert die italienischen Behörden auf, umfassend aufzuklären, wer für diesen Angriff verantwortlich sei, und betont: »Der Schutz journalistischer Quellen ist ein Grundpfeiler des Journalismus und seit Inkrafttreten der Europäischen Verordnung zur Medienfreiheit (EMFA) in der EU besonders geschützt – zumindest auf dem Papier.« Wie RAI News berichtete, hat die Journalistengewerkschaft Federazione Nazionale Stampa Italiana (FNSI) am 19. Februar eine Klage wegen Abhörens und unrechtmäßigen Zugriffs auf Cancellatos personenbezogene Daten eingereicht. Der Chefredakteur hatte bereits eine Woche zuvor bei der Staatsanwaltschaft von Palermo Anzeige erstattet. Whats-App hat Paragon eine Unterlassungsaufforderung zugestellt und behält sich weitere juristische Schritte vor.
Die Meloni-Regierung versucht abzuwiegeln. Unterstaatssekretär Alfredo Mantovano bestritt, dass es eine Überwachung von Medienschaffenden gebe, und weigerte sich, Fragen von Abgeordneten zur Verwendung von »Graphite« durch italienische Behörden zu beantworten. Er bezog sich dabei auf die staatliche Geheimhaltung. Justizminister Carlo Nordio behauptete, im Jahr 2024 sei niemand von Einrichtungen abgehört worden, die vom Justizministerium finanziert werden. Die Spywarefirma Paragon gab ihrerseits an, sie habe ihren Geschäftsvertrag mit dem italienischen Staat gekündigt. Erst dementierte die Regierung, später folgte die Bestätigung.
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