Geächteter des Tages: Friedrich Ludwig Jahn
Von Felix Bartels
In der Hasenheide, wo sich Jahn und Igel »Gute Nacht« sagen, steht das Schandmal. Ein Turnvater in Bronze mit grüner Patina. Zum Internationalen Frauentag nun wollen Aktivisten im Verbund mit grünen und linken Politikern die Statue des Mannes »umgestalten«, der hierselbst mit seinen Burschen turnte. Der physische Abriss scheint unwahrscheinlich, ein historischer angebracht. Misogynie, Nationalismus, Judenhass, Militarismus? Ein Blick in Jahns »Deutsches Volksthum« (1810) mag vermitteln, dass das noch freundlich gefasst ist. Der von Engels als »Turnwüterich« verspottete Urdeutschtümler kann kaum anders denn protofaschistisch genannt werden.
Hacks lag schon richtig: »Wer so denkt wie Jahn, muss nicht auch noch sprechen wie Jahn, wer so spricht, muss sich nicht auch noch so aufführen, wer sich so aufführt, muss nicht auch noch so aussehen.« Wer aber war der Mann? Nun, durchaus der Gründer der deutschen Nationalbewegung. Nebst Arndt und dem gerade noch rechtzeitig verstorbenen Fichte. In Deutschland war die Nation, anders als etwa in Frankreich, kein Abfallprodukt der Staatsbildung. Die Nationalbewegung, von der sich ernstlich erst ab 1813 sprechen lässt, kam von unten, und sie formte sich im Widerstand. Dieser Umstand macht sie nicht sympathischer, er machte sie toxischer. Die Deutsche Misere, das Kleinfürstenwesen, war begünstigt vom Fehlen konfessioneller Einheit. Absolutismus benötigte Staatsreligion. Hinzu kam die Konkurrenz der Habsburger und Hohenzollern, beide Häuser nicht stark genug, das je andere zu unterwerfen. So blieb die Bildung der Nation lange blockiert, die turnenden Horden hatten das gegen Napoleon im Eiltempo nachzuholen. Jener weltanschauliche Unrat, den die Nazis später begierig aufsogen, war ihr Kitt. Den, in der Tat, könnte man langsam mal aus den Ritzen kratzen.
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