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Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 4 / Inland
»Polizeibeauftragter« des Bundes

Nutzloses Feigenblatt

Beschwerden beim »Polizeibeauftragten des Bundes« bleiben bislang ohne Konsequenzen
Von Henning von Stoltzenberg
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Kein Fall für den Polizeibeauftragten: Ein Teilnehmer einer Palästina-Demo in Berlin wird festgenommen (19.10.2024)

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Amtsantritt des ersten »Polizeibeauftragten« des Bundes, Uli Grötsch, fällt dessen Bilanz ernüchternd aus. Grötschs Aufgabe besteht darin, nachzuforschen, wenn sich Bürger oder Angehörige der verschiedenen Polizeibehörden mit Beschwerden an ihn wenden. Im ersten seiner fünf Amtsjahre forderte Grötsch in rund 60 Fällen zu einer Stellungnahme auf, was aber bislang zu keinerlei Maßnahmen gegen einzelne Polizisten geführt habe. Wie das Bundespolizeipräsidium kürzlich mitteilte, habe Grötsch binnen eines Jahres aufgrund von Eingaben, die ihn erreichten, die Bundespolizei in 62 Fällen zur Stellungnahme aufgefordert. In 32 Fällen waren Bürger beim Beauftragten vorstellig geworden, erklärte ein Sprecher gegenüber dpa. Die andere Hälfte stamme von Angehörigen der Bundespolizei. In 56 Fällen sei dem Polizeibeauftragten bereits eine Stellungnahme übermittelt worden und 35 Fälle abgeschlossen. Die übrigen Fälle würden vom Polizeibeauftragten und seinen 18 Mitarbeitern noch bearbeitet.

»In keinem einzigen der durch den Polizeibeauftragten abgeschlossenen Fälle hat sich der Verdacht bestätigt«, so der Sprecher. Deshalb habe auch nie ein Anlass für weitergehende Maßnahmen bestanden. Im Januar 2024 hatte der Bundestag mit Stimmen der damaligen Ampelkoalition und der Linkspartei die gesetzliche Grundlage für das Amt des Polizeibeauftragten geschaffen. Der Koalitionsvertrag der Ampel sah die »Einführung einer oder eines unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizei des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag« vor. Das Amt soll als Anlaufstelle dienen, um Fehlverhalten oder mögliche strukturelle Missstände bei der Bundespolizei, beim Bundeskriminalamt und der Bundestags-Polizei anzuzeigen.

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Grötsch hatte sein Amt am 15. März des vergangenen Jahres angetreten. Zu den Eingaben, die den Beauftragten erreichen, zählen unter anderem Beschwerden von Menschen über anlasslose Kontrollen aufgrund äußerlicher Merkmale, dem sogenannten Racial Profiling, sowie von Polizistinnen, die sexuelle Belästigung melden. Innerhalb der Koalition wurde sich damals darauf geeinigt, die SPD-Fraktion diesen Posten besetzen zu lassen. Grötsch legte daraufhin laut eigenen Angaben sämtliche Funktionen in seiner Partei nieder.

Am Sonnabend sagte Grötsch dem Nachrichtenportal Web.de News, er sehe bei den Polizeibehörden des Bundes zahlreiche strukturelle Fehlentwicklungen. »Meine fünf Jahre Amtszeit werden nicht reichen, um all die Bereiche, die sich dazu schon jetzt auftun, zu bearbeiten«. Es brauche »mehr Sensibilisierung für Themen wie Sexismus, Rassismus und Mobbing innerhalb der Polizei«. Auch dass laut einer Studie 42 Prozent der Polizisten Asylsuchenden ablehnend gegenüberstünden, sei »ein großes strukturelles Problem«. Zudem sei beim Thema Frauen in Führungspositionen »noch viel Luft nach oben«.

»Ich hatte oft genug Gelegenheit, polizeiliches Handeln zu kritisieren«, sagte Grötsch. Ein Fall von »unrechtmäßiger Polizeigewalt« sei ihm allerdings nie begegnet. Er sehe aber noch »Nachholbedarf« beim Umgang der Polizei mit »Fehlern«. Es sei Teil seiner Aufgabe »festzustellen, ob die Bundespolizei mutig genug dafür ist, sich Fehler einzugestehen – oder sie nur zur Seite wischt«.

Um die Probleme bei der Polizei zu beheben, fordert Grötsch mehr Aus- und Fortbildung der Beamten und mehr Personal. Zudem dürfe bei den »Sicherheitsbehörden« nicht gespart werden – im Gegenteil: »Die künftige Regierung muss in sie investieren.«

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