Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Montag, 17. März 2025, Nr. 64
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 2 / Inland
Friedensbewegung

»Sie öffnen die Büchse der Pandora«

Kritik aus der Friedensbewegung an einem »Blankoscheck« für Aufrüstung. Ein Gespräch mit Yannick Kiesel
Interview: Max Grigutsch
DSC_562404.jpg
Protestaktion gegen die Rüstungskredite vor dem Reichstagsgebäude in Berlin (5.3.2025)

Die Grünen haben am Freitag bekanntgegeben, dass sie den Grundgesetzänderungen von CDU/CSU und SPD jetzt doch zustimmen werden. Die Reform der »Schuldenbremse« soll nun auch der Aufrüstung der Geheimdienste dienen. Was ist davon zu halten?

Wir finden es sehr enttäuschend, dass die Grünen eingeknickt sind. Wir hatten gehofft, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Das Fass wird komplett geöffnet. Es ist langfristig nicht abzusehen, was das für uns an Ausgaben bedeutet, wenn wir über Cybersecurity, Unterstützung für die Ukraine, Wehrpflicht, über eine allgemeine Militarisierung der Gesellschaft sprechen. Sie öffnen die Büchse der Pandora. Wir sind sehr enttäuscht, dass das noch mit dem alten Bundestag durchgedrückt werden soll.

Sie sagen: Kein Blankoscheck für das Militär. Dagegen demonstrieren Sie am Dienstag vor dem Bundestag. Was bedeutet es für die reale Sicherheit in Europa, wenn dieser Blankoscheck durchgesetzt würde?

An allen Ecken und Enden wird über Ausgaben diskutiert. Aber wenn es um das Thema Rüstung und Militär geht, wird alles durchgewinkt. Es wird nicht mal die Frage gestellt, welche Aufrüstung wir überhaupt brauchen. Es gibt keine Debatte über eine generelle Aufrüstung, die Debatte müssen wir aber führen. Wenn wir uns mit Verweis auf die Greenpeace-Studie vom November 2024 die Bedrohungslage anschauen und dass europäische NATO-Staaten mehr für Rüstung ausgeben als Russland, ergibt die Argumentation der federführenden Parteien keinen Sinn.

Gibt es denn eine richtige Aufrüstung? Bei einem Blankoscheck ist die Summe ja frei wählbar. Wieviel Geld wäre denn Ihrer Ansicht nach legitim?

Das kann man gar nicht sagen. Wir haben gerade erst ein Sondervermögen von 100 Milliarden verabschiedet. Was ist mit den 100 Milliarden passiert? Wo ist das Geld? Das Geld einfach in unseren Bürokratieapparat zu stecken, ist für uns nicht akzeptabel. Es braucht eine Debatte, wo das Geld hin soll.

Ist das nur eine finanzielle Frage oder kritisieren Sie auch die Auswirkungen, die die Aufrüstung für die reale Sicherheitslage haben könnte?

Mit Blick auf die verschiedenen Kriege in den letzten Jahren hat die EU unglaublich viel verpasst, wenn es darum geht, Sicherheit zu garantieren, Friedenspläne vorzulegen und Möglichkeiten zu schaffen, die Konflikte so anzugehen, dass wir keine Aufrüstung benötigen. Wir sollten in Diplomatie investieren. Aber jetzt müssen wir mit dem Diktatfrieden von Trump umgehen.

Die Reform der »Schuldenbremse« geht Hand in Hand mit dem sogenannten Sondervermögen für Infrastruktur. Verstehen Sie das als rein ziviles Vorhaben? Protestieren Sie auch dagegen?

Wir protestieren auch dagegen, weil es eine Legitimation für das Verteidigungsprojekt ist. Die Grünen wollen zwar 100 Milliarden für den Klimaschutz festschreiben. Wir wollen aber wissen: Wohin geht das Geld tatsächlich? Und woher kommt die Not, das alles so schnell abzunicken? Für uns ist das viel zu schnell.

Sie sehen die Aufrüstung auch in Verbindung mit Armut und Klimaschutz. Wie hängt beides zusammen?

Es gibt in der Politik ein Gefeilsche um Ausgaben, etwa bei der Kindergrundsicherung, die wenige Milliarden kostet. Die Bahn braucht in den nächsten zehn Jahren 150 Milliarden an Investitionen. Das Deutschland-Ticket ist finanziell nicht langfristig gesichert. In der Kultur werden Zuschüsse gestrichen. Gleichzeitig wird die Militarisierung vorangetrieben. Damit kann niemand in Deutschland zufrieden sein. Natürlich ist Sicherheit ein wichtiges Thema, aber nicht zulasten der Menschen.

Die Friedenskoordination Berlin mobilisierte für Sonnabend, und ein linkes bis revolutionäres Bündnis ruft für Dienstag nachmittag zum Protest auf. Gibt es da politische Unterschiede oder Berührungsängste?

Es gibt unterschiedliche Arbeitsweisen. Wir als Friedensbewegung sind nicht immer gut vernetzt mit verschiedenen linken Gruppen. Wir müssen aber daran arbeiten, Verbindungen herzustellen. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir in Zukunft angehen wollen. Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie wir zu unseren Zielen kommen. Konkret soll es aber keine Gegenveranstaltung sein. Wir finden wichtig, dass es diesen Protest gibt.

Yannick Kiesel ist Referent für Friedenspolitik bei der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorstandsmitglied der Naturfreunde Deutschlands

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Mehr aus: Inland