Wut in den Lehrerzimmern
Von Steve Hollasky, Dresden
Sie habe es »eigentlich nicht anders erwartet« und sei »dennoch wieder zutiefst enttäuscht«, sagte die Dresdner Lehrerin Heike P. am Sonnabend im Gespräch mit junge Welt. Grund für den Frust: die Pläne des neuen sächsischen Kultusministers Conrad Clemens. Der CDU-Politiker hat einen Plan mit 21 Maßnahmen vorgelegt, mit denen er den Unterrichtsausfall von über neun Prozent an den Bildungseinrichtungen im Freistaat im nächsten Schuljahr halbieren möchte. Genau diese Pläne sorgen gerade für enorme Wut in den Lehrerzimmern. Insbesondere störe der »beständige, indirekte Vorwurf, Lehrerinnen und Lehrer könnten mehr leisten, wenn sie nur wollten«, erklärt Heike P. weiter.
An Sachsens Schulen fehlen nach Verlautbarung des Kultusministeriums etwa 1.400 Lehrerinnen und Lehrer. Wer im Schuldienst ist, der arbeitet oft weit über der Belastungsgrenze. Im Oktober 2022 hatte eine von der sächsischen GEW geförderte Studie ergeben, dass gut ein Drittel der sächsischen Lehrerinnen und Lehrer mehr als 48 Stunden pro Woche malochen. Im Bemühen, den Unterrichtsausfall zu verringern, will Clemens nun die Arbeitsmenge noch einmal erhöhen. Dabei ist der Titel des jW vorliegenden Maßnahmenkatalogs mit »Stundenausfall halbieren und Lehrer entlasten« reichlich euphemistisch gewählt.
Geplant ist unter anderem die Anlage von Arbeitszeitkonten. In einer »Ansparphase« sollen Lehrkräfte unbezahlt mehr arbeiten, um später in einer »mehrjährigen Rückgabephase« weniger Stunden zu schieben. Zudem soll die Altersteilzeit anders und damit für ältere Lehrerinnen und Lehrer bedeutend schlechter geregelt werden. Der Anfang der in der Altersteilzeit vorgesehenen Stundenreduzierung soll vom 58. auf das 63. Lebensjahr verschoben werden.
Künftig sollen sächsische Lehrkräfte auch mehr Hybridunterricht anbieten, also auch Klassen unterrichten, die sich nicht vor Ort in der Schule, sondern im heimischen Kinderzimmer befinden. Auch »digitalgestütztes Selbstlernen« soll demnächst an Schulen im Freistaat häufiger stattfinden. Für das Unterrichten in der Abiturstufe soll es keine »festgelegten« Anrechnungsstunden geben. Das System von Stundenabminderungen soll durch eine pauschale Zuweisung von Anrechungsstunden an die Schulen neu geregelt werden. Burkhard Naumann, Landesvorsitzender der GEW, kritisierte die Ministeriumspläne auf der Homepage der Gewerkschaft mit den Worten, dies sei »ein schwerer Angriff auf die Lehrkräfte in Sachsen, gegen den wir uns wehren werden«.
Die Vorhaben des Kultusministers würden sie »einfach nur sprachlos machen«, hielt Bildungspolitikerin Rica Gottwald (Die Linke) im Gespräch mit dieser Zeitung fest. Sie fürchtet nicht nur eine Verschlechterung der Unterrichtsqualität, auch wegen der erhöhten Belastung der Lehrkräfte. Zudem stört Gottwald die Verringerung der Zeit, in der migrantische Schülerinnen und Schüler mit dem Unterricht in »Deutsch als Zweitsprache« stärker unterstützt werden, auf zwei Jahre. Auch die Dresdner Lehrerin Grit G. kennt angesichts der Pläne des sächsischen Kultusministers nur Kopfschütteln. »Die CDU regiert in Sachsen seit der Wende« und könne die Verantwortung »für die Misere nicht abschieben«, stellt die Kollegin in Anspielung auf das Parteibuch von Clemens fest. Man dürfe die Probleme des sächsischen Schulwesens »nicht auf den Schultern derjenigen austragen, die sich ohnehin schon aufopfern«. Besonders schmerze sie der Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen jenseits der 50, deren Altersteilzeitregelungen Clemens neu und zum Nachteil der Betroffenen regeln will. Die GEW ruft für Mittwoch um 18 Uhr zu einer Aktionskonferenz, die online stattfinden soll, auf.
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