Mit den Falschen für das Richtige
Von Philip Tassev
Nach einem kurzen und öffentlichkeitswirksamen Zaudern haben die Grünen am Freitag ihre Zustimmung zu dem von Union und SPD ausgehandelten Schuldenpaket für Aufrüstung und Infrastruktur signalisiert. Am Dienstag soll der Bundestag in einer Sondersitzung darüber abstimmen. Da es sich dabei noch um den »alten« Bundestag handelt, haben CDU/CSU, SPD und Grüne somit die nötige Zweidrittelmehrheit, um ihre Pläne durchzudrücken. Gegen dieses Manöver, Grundgesetzänderungen mit Hilfe eines Parlaments umzusetzen, das nicht mehr die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelt, hatten Die Linke, BSW und AfD Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Die Richter hatten die Anträge von AfD und Linkspartei am Freitag allerdings als »unbegründet« verworfen.
Daraufhin richtete sich am Freitag abend die AfD-Politikerin Beatrix von Storch mit einer Videobotschaft auf der Social-Media-Plattform X an Die Linke und forderte die Partei zur Zusammenarbeit auf: »Die SPD und die Grünen haben gemeinsam mit der Union beschlossen, die Schuldenbremse zu beseitigen und unbegrenzte Schulden zu machen, insbesondere auch für die Bundeswehr.« AfD und Linkspartei könnten zusammen den »neuen, den demokratisch legitimierten Bundestag einberufen«, um den »Staatsstreich von Herrn Merz« zu stoppen. »Also, liebe Linke, ihr seid gefordert, verhindert diesen Verfassungsbruch«, so von Storch. »Oder schweigt für immer.«
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, erklärte am Sonnabend, er habe Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) aufgefordert, das neu gewählte Parlament »sofort« einzuberufen, und rief weitere Abgeordnete auf, seinen Antrag zu unterstützen. »Auf diese Weise würde der Wille der Wähler nicht länger missachtet und der missbrauchswilligen Großkoalition von Union, SPD und Grünen wäre wirksam entgegengetreten.«
Auch die BSW-Politikerin Sevim Dagdelen richtete sich noch am Freitag abend an die Linkspartei. Die Linke habe »die historische Chance, die Kriegskredite für unbegrenzte Aufrüstung zu verhindern«. Sie müsse »nur ein einziges Mal über das unsinnige Brandmäuerchen springen, um mit den Falschen das Richtige zu machen: den neugewählten Bundestag einzuberufen und so den Kriegsbesoffenen die rote Karte zeigen«, schrieb Dagdelen bei X.
Die Kovorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner, lehnte am Sonntag einen solchen »Sprung« über das »Brandmäuerchen« ab. »Da die AfD bewusst Propaganda streut und das BSW die Lüge aufnimmt: Eine frühere Einberufung des neuen Bundestags durch ein Drittel ihrer Mitglieder sieht das Verfassungsgericht nicht vor. Es ist schlicht nicht möglich. Wir haben alle Hebel zur früheren Konstituierung bewegt«, teilte Schwerdtner ebenfalls per X mit. Am Freitag abend hatte sie sich gegenüber t-online noch auf den Standpunkt gestellt, man könne ein »demokratisch fragwürdiges Verfahren« nicht aushebeln, »indem man mit den Feinden der Demokratie zusammenarbeitet.«
Ähnlich argumentierte der Jurist Christian Rath in einem am Sonnabend in dem juristischen Onlinefachmagazin Legal Tribune Online veröffentlichten Beitrag. Demnach habe der Bundestag nach Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes zwar ein »Selbstversammlungsrecht«, könne also auch ohne Einladung der Bundestagspräsidentin des Altparlaments einberufen werden, wenn ein Drittel seiner Mitglieder danach verlange. Das gelte aber »nach wohl herrschender Meinung« nur für den »Wiederbeginn seiner Sitzungen«, nicht für den erstmaligen »Zusammentritt«.
Aber auch wenn die Schuldenpläne am Dienstag vom alten Bundestag abgesegnet werden, fehlt für eine Grundgesetzänderung noch die Zustimmung des Bundesrates. Und die steht noch keineswegs fest. Ausgerechnet in Bayern scheint es zu knirschen. Der dortige Koalitionspartner der CSU, die Freien Wähler, sieht in dem Schuldenpaket »mehr Gefahr als Chance für die Stabilität unseres Landes«, wie Parteichef Hubert Aiwanger vergangene Woche erklärte. Nun bieten sich die bayerischen Sozialdemokraten an, in die Bresche zu springen. »Die bayerische SPD ist bereit, in die Staatsregierung einzutreten«, sagte der Vizepräsident des bayerischen Landtages, Markus Rinderspacher (SPD), dem Tagesspiegel (Sonntagsausgabe). Damit wäre »ein klares Ja Bayerns im Bundesrat zum Infrastruktur- und Verteidigungspaket garantiert«. Wie ernst es die Freien Wähler mit ihrer Ablehnung meinen, wird sich am Montag auf der »Krisensitzung« des Koalitionsausschusses zeigen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (18. März 2025 um 13:54 Uhr)»Eine frühere Einberufung des neuen Bundestags durch ein Drittel ihrer Mitglieder sieht das Verfassungsgericht nicht vor«. Das ist natürlich sehr zu bedauern, aber wohl kaum zu ändern. Das Bundesverfassungsgericht teilt da ziemlich eindeutig mit: »Die Wahlperiode des alten Bundestages wird gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) erst durch den Zusammentritt des neuen Bundestages beendet. Bis dahin ist der alte Bundestag in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt. Wann der Zusammentritt erfolgt, entscheidet allein der neue Bundestag. Er wird hieran durch die Einberufung des alten Bundestages nicht gehindert. Eine solche ist hier auch nicht pflichtwidrig. Denn beantragt ein Drittel der Mitglieder des Bundestages dessen Einberufung, ist die Bundestagspräsidentin hierzu nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG verpflichtet. Inwieweit hingegen eine Pflicht besteht, der Konstituierung des neuen Bundestages den Vorzug zu geben, kann offenbleiben. Eine solche Pflicht bestünde allenfalls, wenn der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hätte. Daran fehlt es hier.« (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-025.html). Für mich klingt das so, als ob mindestens mehr als die Hälfte der neuen Bundestagsabgeordneten für den schnelleren Zusammentritt des Bundestages eintreten müsste. Das schaffen AfD und Linke nicht. Die Drittel-Regel gilt offenbar nur für einen alten Bundestag. Schade um das schöne Geld, das nun sinnlos zur Bedienung der Trugwahrnehmungen unserer Politiker in übertriebene Aufrüstung statt in Bildung und dergl. investiert wird. Bildung haben zumindest unsere Politiker dringend nötig, denn ich sehe kaum einen, der das Ursachengeflecht des Ukraine-Krieges versteht.
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Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (17. März 2025 um 23:44 Uhr)»Nach wohl herrschender Meinung« gelte das »Selbstversammlungsrecht« nicht für den erstmaligen »Zusammentritt« des Bundestages. Was für ein Unsinn! Auf wen sollen die neu gewählten Abgeordneten denn noch warten? Auf den Kaiser? Fakt ist, die vom Volk neu gewählten Bundestagsabgeordneten haben die Wahl angenommen und haben hierdurch ein sofortiges Selbstversammlungsrecht. Und wenn mindestens ein Drittel der gewählten Abgeordneten dies verlangt, was in Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes verankert ist, so ist der neue Bundestag sofort einzuberufen. Damit endet die Amtszeit der alten Bundestagsabgeordneten. Der Wille des Volkes, also der der neu gewählten Abgeordneten, hat immer Vorrang. Denn das Volk hat sich für neue Abgeordnete entschieden. Es kann nicht sein, dass die alten Bundestagsabgeordneten entgegen dem neuen Willen des Volkes weitreichende Beschlüsse fassen. In der Vergangenheit hat der alte Bundestag nach einer Bundestagswahl keine weitreichenden Entscheidungen mehr getroffen und hierdurch den neuen Willen des Volkes respektiert; was aktuell nicht der Fall ist. Es wird lustig weiter regiert, ohne dass die neu gewählten Abgeordneten, die das verhindern könnten, bisher aktiv wurden.
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Leserbrief von Klaus Bratsch aus Borgsdorf (17. März 2025 um 14:01 Uhr)Der Verein, der sich Die Linke nennt, macht dasselbe, was die Sozen 1914 gemacht haben, er stimmt für die dritte deutsche Katastrophe. Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, bewohnbar nach dem Zweiten, unauffindbar nach dem Dritten, vom armen B. B.
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Leserbrief von Martin Hagemeyer (17. März 2025 um 11:58 Uhr)Ich mag Dagdelens »Brandmäuerchen« nicht, Distanz zu Rechts ist keine Petitesse. Doch Pragmatismus für vereintes Kontra scheint mir legitime, generell gar übliche Oppositionsarbeit. Lizenz zu Schulden, und zwar fürs Töten, und zwar dann grenzenlos, und all das mit einem Trick: Da kommt halt einiges zusammen, für das in Demokratien starker Widerspruch möglich sein muss.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (17. März 2025 um 03:21 Uhr)Die Staatsschuldenorgie zur Aufrüstung ist im doppelten Sinne unnötig. Erstens werden Bedrohungen erfunden, die seitens Russlands rechnerisch und auch mangels logischer Begründung nicht existieren. Die EU-Staaten sind konventionell auf allen Gebieten Russland überlegen. Zweitens ist es selbst aus Sicht der Kriegstreiber, die einen Krieg mit Russland mit Aussicht auf einen eingebildeten Erfolg herbeireden wollen, nicht sinnvoll, solche Kredite aufzunehmen und sie privaten Rüstungsfirmen wie Rheinmetall in den Rachen zu werfen. »Sinnvoll wäre es nur aus Sicht eines Lobbyisten, dem der Profit von Rheinmetall wichtiger ist als der militärische Erfolg. Ein militärischer Erfolg braucht im Vergleich zum Gegner billige (!) Waffentypen, die aber in großen Mengen, vor allem bei einem Stellungskrieg (Massenverschleiß). Aber was ist die Realität? Um den eigenen Bestand wieder aufzufüllen, will die Bundeswehr selbst Leopard-2-Panzer des Typs A7 bestellen. Diese kosten pro Stück um die 15 Millionen Euro (…) Pro Stück kostet die Munition etwa 9.000 Euro.« (Quelle: Focus) Viele dieser Panzer wurden im Ukraine-Krieg durch eine Drohne im Wert von wenigen Tausend Dollar ausgeschaltet. Es handelt sich um militärische Dinosaurier, die gerade am Aussterben sind. Es ist bereits vor der Produktion Schrott. Da sich die Rüstungsindustrie in Deutschland in Privatbesitz befindet (die wollen hohe Preise), in Russland und China dagegen weitgehend in Staatsbesitz (der Staat will niedrige Preise), ist die Produktion eines Panzers in Russland viermal billiger als in Deutschland und in China zehnmal billiger, abgesehen davon, dass es eine Waffe der Vergangenheit ist. Solange die Rüstungsindustrie in der EU nicht verstaatlicht und vereinheitlicht ist, werden sie aus wirtschaftlichen Gründen letztlich auch konventionell gegenüber China und Russland ins Hintertreffen geraten, egal, wie viele Schulden sie aufnehmen. Der private Sektor schluckt das durch seine Profite alles weg.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (17. März 2025 um 02:06 Uhr)Die PdL hätte diese Schuldenorgie verhindern können und hat es nicht getan. Statt dessen werden uns fadenscheinige Ausreden angeboten, in dieser vielleicht historischen Stunde, in der Deutschland endgültig in Richtung Kriegsvorbereitung kippt. Zunächst: Man könne ein »demokratisch fragwürdiges Verfahren« nicht aushebeln, »indem man mit den Feinden der Demokratie zusammenarbeitet«. Um Schlimmeres zu verhüten, kann man mit vielen Menschen zusammenarbeiten. Das bewiesen deutsche und sowjetische Kommunisten Ende des Zweiten Weltkrieges, als sie sogar mit ehedem überzeugten Nazis und hohen Offizieren der Wehrmacht innerhalb des »Nationalkomitees freies Deutschland« zusammenarbeiteten. Generalfeldmarschall Paulus war sicher kein Anhänger der Demokratie. Dann hören wir von der PdL: »Eine frühere Einberufung des neuen Bundestags durch ein Drittel ihrer Mitglieder sieht das Verfassungsgericht nicht vor. Es ist schlicht nicht möglich.« Das Bundesverfassungsgericht ist da auch zunächst gar nicht gefragt, sondern das Grundgesetz. Nach dem Grundgesetz muss gehandelt werden. Das BVG kann dann anschließend (!) begründen, ob und warum es im betreffenden Fall Einwände hat. Soll bei allen Rechten, die das Grundgesetz vorsieht, erst das BVG befragt werden, ob die auch wirklich gelten? Jetzt sagt ein (!) Jurist, »nach Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes gebe es zwar ein ›Selbstversammlungsrecht‹, könne also auch ohne Einladung der Bundestagspräsidentin des Altparlaments einberufen werden, wenn ein Drittel seiner Mitglieder danach verlange. Das gelte aber ›nach wohl herrschender Meinung‹ nur für den ›Wiederbeginn seiner Sitzungen‹, nicht für den erstmaligen ›Zusammentritt‹.« Dieser Jurist weiß, dass die herrschende Meinung bzw. Praxis oft nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmt (»Zensur findet nicht statt«), insbesondere nicht eine »wohl« herrschende Meinung. Die PdL hat die Kriegskredite ermöglicht, indem sie nicht alle Möglichkeiten zur Verhinderung ausschöpfte.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. März 2025 um 23:39 Uhr)»Eine frühere Einberufung des neuen Bundestags durch ein Drittel ihrer Mitglieder sieht das Verfassungsgericht nicht vor«? Was soll das Verfassungsgericht noch alles vorsehen? Verwechselt da jemand die (nicht existierende) Verfassung mit einem Gericht? War nicht die Installation einer Verfassung durch Volksabstimmung im Gespräch – früher mal?
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